Europapolitik im Spiegel der Kunst: Des Menschen Wolf

Eine Ausstellung in der Städtischen Galerie versammelt eindrückliche, aber sehr euroskeptische und anklagende Arbeiten junger KünstlerInnen.

Düsteres Bild: Filippo Bertas Video "Homo Homini Lupus". Bild: Städtische Galerie Bremen

Das Problem an Europa ist ja, dass es meistens total unsinnlich daherkommt. Als vage Idee, als grobe Vorstellung von irgendwas. Aber am Ende bleiben oft nur Schlagworte. Abstraktes. Der Euro, die Krise, die Grenzen. Gerade darum ist diese Ausstellung „Who makes Europe“ in der Städtischen Galerie so gut. Auch für jene, die es sonst echt nicht so mit zeitgenössischer bildender Kunst oder der Steckerkunst haben. Gezeigt werden 19 KünstlerInnen aus ganz Europa.

Okay, es gibt auch hier ein paar dieser Sachen, bei denen sich der weniger geneigte Laie fragen mag, ob das Kunst ist. Oder eben nicht doch weg kann. Sachen, bei denen man kurz mit der Schulter zuckt. Und dann weitergeht. Aber es gibt auch ganz anderes: Werke, die eine ganz unmittelbare Wucht entfalten, ganz ohne viel Erklärung, wie sie bei zeitgenössischer Kunst ja oft vonnöten ist. Werke, die auf eine ganz wunderbare Weise politisch und auch witzig sind – aber auch vollkommen ohne erhobenen Zeigefinger auskommen.

Da ist zum Beispiel ein Werk des Rumänen Ciprian Muresan, ein etwa halbstündiges Video mit einem einfachen, aber überzeugenden Setting. Eine Handpuppe, gekleidet wie ein einfacher Arbeiter, in einer Mülltonne. Gestenreich, impulsiv und hektisch protestiert sie – gegen sich selbst. Und fordert uns auf, sich ihrem Protest anzuschließen. Absurd? Nein! Denn die Figur protestiert gegen sich selbst, weil sie sich in der Mülltonne versteckt, während ihr alles genommen wird. Weil sie geschwiegen hat, als andere demonstrierten, als Schulen und Krankenhäuser geschlossen, als die Kollegen, als schließlich er selbst entlassen wurde. Weil er klaglos alles hingenommen, sich am Ende zum Abfall hat degradieren lassen, aus Angst, aus Faulheit. Die Arbeit reflektiert damit die Massenproteste im postkommunistischen Rumänien, doch ihre Aussage reicht weit darüber hinaus, befragt uns selbst, ganz unmittelbar, aber sehr humorvoll. Haben wir auch geschwiegen?

Ein anderer kraftvoller Versuch, die europäische Gesellschaft – oder ihr politisches System? – zu spiegeln, stammt von dem Italiener Filippo Berta. „Homo Homini Lupus“ heißt sein kurzes Video, also: Der Mensch ist des Menschen Wolf. Zu sehen sind drei Wölfe in trostloser Einöde, die aggressiv um die Macht, ihre Beute – eine italienische Flagge – kämpfen. Eine kleine, aber homogene Gemeinschaft, in der nicht die Solidarität, sondern das Recht des Stärkeren zählt, in der man sich behaupten, für sich und sein Territorium streiten muss, wenn man nicht untergehen will.

Auch ansonsten überwiegt in dieser Ausstellung freilich die Euroskepsis. Da ist etwa ein riesiger Stapel von Francis Hunger, mit etwas romantisierenden, etwas pop-artigen, jedenfalls aber völlig inhalts- und sinnfreien Plakaten, die unter dem Titel „Willkommen in der Überproduktionskrise“ still den Kapitalismus anklagen, ad absurdum führen. Und an Butterberge und Milchseen, kurz: an eine gescheiterte EU-Agrarpolitik erinnern.

Aber auch die Flüchtlingspolitik der EU ist ein Thema: Der Bremer Julian Öffler ist zusammen mit dem Norweger Paida Larsen ins französische Calais gefahren, wo jährlich mehrere tausend Menschen auf dem Weg nach Großbritannien stranden. Aus dem, was sie dort vorfanden, bauten sie ein Floß, das nun auch in der Ausstellung steht. Der Versuch der beiden, damit das Meer zu überqueren scheiterte freilich. Mitgebracht haben sie aber auch ein Musikvideo, das eindrücklich von den verzweifelten Suche der hier allzu oft ignorierten oder gar bekämpften MigrantInnen nach einem besseren Leben in Europa erzählt.

Etwas weniger drastisch kommt beispielsweise „Naine“ daher, ein viertelstündiges Video der Französin Eleonore de Montesquiou. Es zeigt Szenen eines Flussbades, doch interessant allein ist der Text aus dem Off: Eine etwa 50-jährige Frau, die an der estnisch-russischen Grenze lebt, am äußersten Ende Europas, berichtet aus ihrem Leben als alleinstehende Frau mit zwei Kindern, von Emanzipation, Schmuggel und anderem mehr. „Naine“ besticht vielleicht nicht durch seine künstlerische Umsetzung. Aber durch das, was jene Frau uns zu erzählen hat.

Bis 9. Februar, Städtische Galerie, Buntentorsteinweg 112
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