: Europaparlament: Denkzettel für die Türkei
■ Straßburger Parlament lehnte Handelsprotokoll mit der Türkei ab / Begründung: die Verhaftung der Kommunistenführer Sargin und Kutlu, die schwere Foltervorwürfe erhoben haben / Staatsanwaltschaft Ankara leitete Ermittlungen gegen mutmaßliche Folterer ein
Ankara (ap/afp/bem) - Das Europaparlament in Straßburg hat am Dienstag der Türkei einen Denkzettel erteilt. Mit 131 gegen 123 Stimmen lehnten die Abgeordneten ein Ergänzungsprotokoll über Ausfuhren der Türkei in die EG ab und verwiesen die Vorlage an den zuständigen Ausschuß zurück. Begründet wurde die Ablehnung mit der Verhaftung und Folterung der beiden türkischen KP–Führer Nihat Sargin und Haydar Kutlu. EG–Kommissar Claude Cheysson hatte zuvor appelliert, die Vorlage passieren zu lassen, da sie keine größeren handelspolitischen Konsequenzen nach sich ziehen werde. Der liberale belgische Abgeordnete Luc Beyer wies jedoch auf den türkischen Antrag auf EG–Mitgliedschaft hin und erklärte: „Wir müssen der Türkei zeigen, daß man nicht die gleiche politische Behandlung erwarten kann, wenn man nicht den gleichen Moralkodex befolgt.“ Die beiden KP–Führer Sargin und Kutlu waren am 16.November, zwei Wochen vor den letzten Parlamentswahlen, in die Türkei zurückgekehrt, um eine legale kommunistische Partei aufzubauen. Kommunistische Parteien sind seit den zwanziger Jahren verboten. Gleich nach ihrer An kunft waren sie festgenommen und über zwei Wochen in Polizeigewahrsam gehalten worden. In der türkischen Presse wurden in den letzten Tagen Auszüge aus einer Anzeige von Kutlu und Sargin veröffentlicht, die sie gegen die Verantwortlichen und Beteiligten wegen Folter erstattet haben. Sargin erklärte darin: „Ich wurde von drei verschiedenen Teams verhört. Mit Ausnahme von einigen Minuten Unterbrechung für Essen und Toilettengang mußte ich ständig mit verbundenen Augen sitzen und 170 Stunden lang ohne Schlaf bleiben. Als ich wegen Schlaflosigkeit völlig erschöpft war, hat man versucht, durch eine Injektion in mein Bein mein Bewußtsein und meinen Widerstand gänzlich auszuschalten. Ich wurde in die Folterkammer gebracht. Hier wurde ich nackt ausgezogen und der Folter durch Druckwasser unterzogen. Mein Körper wurde, insbesondere an den empfindlichsten Stellen wie Ohren, Hals und Hoden, mit einem Schlauch abgespritzt. Danach wurden meine Hoden gequetscht.“ Haydar Kutlu berichtete: „In der Folterkammer wurde ich aufgehängt. Diesmal wurden mir an meinem Geschlechtsorgan und den Fingern elektrische Schläge verabreicht, vor den Elektroschocks wurde mein Körper naß gemacht.“ Während ihrer Zeit im Polizeigewahrsam waren die beiden völlig isoliert gehalten worden. Selbst ihre Anwälte hatten keinen Zutritt zu ihnen erhalten. Kurz nach den Wahlen wurden sie ins Gefängnis überführt und dort verhaftet. Sie sind angeklagt wegen „Zugehörigkeit zu einer Geheimorganisation“ sowie Verbrechen gegen die nationale Einheit. Von fünf Personen, die vor zwei Wochen - angeblich aufgrund der Aussagen der beiden KP–Führer - festgenommen worden waren, ist nun gegen vier Haftbefehl ergangen. Unter ihnen sind auch der amtierende und der ehemalige Generalsekretär der Gewerkschaft Otomobil–Is. Die Staatsanwaltschaft in Ankara hat unterdessen wegen der Foltervorwürfe von Kutlu und Sargin Ermittlungen eingeleitet.
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