Europäisches Parlament will Überblick: Brüssel will Lobbyisten registrieren
Künftig sollen die rund 15.000 Lobbyisten, die Brüssels Beamten bearbeiten, in einem Register geführt werden. Grüne fordern dafür strengere Kriterien.
Plötzlich sind alle immer schon für ein Lobbyistenregister gewesen. "Mit einer großen Mehrheit" habe sich der Verfassungsausschuss des Europäischen Parlamentes dafür ausgesprochen, ein gemeinsames, verpflichtendes Lobbyistenregister einzurichten, jubelte der konservative Abgeordnete Ingo Friedrich gestern nach der Abstimmung im EU-Parlament. Es soll die etwa 15.000 Brüsseler Interessenvertreter erfassen, die bei Rat, Parlament und EU-Kommission für ihren Standpunkt werben. "Insbesondere auf Druck der Sozialdemokraten" sei der ursprüngliche Bericht der Konservativen verschärft worden, behauptete der Vorsitzende des Ausschusses, der Sozialdemokrat Jo Leinen.
Mitarbeiter der Grünen-Fraktion erzählen die Geschichte völlig anders. Erst nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung, in dem der ursprünglich von Konservativen und Sozialdemokraten gemeinsam getragene Entwurf des finnischen Konservativen Alexander Stubb als völlig zahnlos kritisiert wurde, seien die Sozialisten umgeschwenkt. Noch gestern Vormittag verteidigte Sozialistenchef Martin Schulz in einem Interview den ursprünglichen Text: "Mit der von Stubb vorgeschlagenen Lösung würde das Register, in das sich Lobbyisten eintragen müssen, deutlich ausgeweitet. Auch deren finanzielle Aufwendungen würden öffentlicher gemacht. Von was ich allerdings nichts halte, sind die völlig übertriebenen Forderungen unter anderem von den Grünen."
Die haben sich allerdings überraschend in vielen Punkten durchgesetzt. So sollen auch Mitarbeiter von Stiftungen, den sogenannten Denkfabriken, und Rechtsanwälte, die als Berater tätig sind, als Lobbyisten gelten. Doch auch das wäre nur ein erster Schritt. Letzten Monat veröffentlichte die Transparenz-Initiative Alter-EU einen Bericht über die mehr als 1.200 Expertengruppen, die die EU-Kommission bei Gesetzentwürfen beraten. Nur zögernd gibt die Kommission Details über ihre Zusammensetzung preis. Doch die Transparenz-Initiative fand heraus, dass bei 64 Prozent der Gremien Industrieinteressen überrepräsentiert sind, nur in 4 Prozent der Fälle überwiegen Nichtregierungsorganisationen. Die von Unternehmen dominierten Expertengruppen kümmern sich unter anderem um die Selbstverpflichtung von Pkw-Herstellern zur CO2-Reduzierung, um Technologien für "saubere" Kohlekraftwerke, um Biotreibstoff und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Industrie.
Mit der Forderung, den Berufsstand des Lobbyisten klarer zu definieren und ein Mindesteinkommen festzulegen, ab dem die Registrierung nötig wird, konnten sich die Grünen nicht durchsetzen. Sie hoffen nun, bei der Abstimmung Anfang Mai im Plenum des Parlaments weiter nachbessern und vor allem einen verbindlichen Zeitplan beschließen zu können. Der Grünen-Abgeordnete Claude Turmes betonte, nur so könne das Parlament gegenüber den Wählern seine Glaubwürdigkeit behalten.
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