Europa und die Demokratie: „Eine Frage der Glaubwürdigkeit“
Der Fall Rumänien zeigt, dass Europa neue Regeln braucht, sagt EU-Expertin Corina Stratulat. Alle EU-Mitglieder sollten kontinuierlich überprüft werden – nicht nur die Beitrittskandidaten.
taz: Frau Stratulat, erst Ungarn, jetzt Rumänien – ist die Europäische Union machtlos gegen undemokratische Bewegungen in der Gemeinschaft?
Corina Stratulat: Es fehlt ein proaktives Instrument. Die Mitgliedstaaten müssten grundsätzlich beobachtet und beurteilt werden – ähnlich wie die Beitrittskandidaten. Demokratie muss jeden Tag gepflegt werden. Mit einem solchen regelmäßigen Monitoring könnte die Europäische Kommission viel früher eingreifen, und nicht erst dann, wenn es zu solch schwerwiegenden Vorfällen kommt wie nun in Rumänien.
Welche Möglichkeiten hätte die Europäische Kommission jetzt, auf die rumänische Innenpolitik Einfluss zu nehmen?
Die EU-Kommission hat das Recht zu überprüfen, ob ein Mitgliedstaat gegen die EU-Verträge verstößt. Sie kann in diesem Fall den Staat vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen. Sie kann Informationen von der Regierung einfordern und diese auffordern, bestimmte Gesetze zu ändern.
Gegen welche EU-Gesetze verstößt Rumänien Ihrer Meinung nach?
In Artikel 6 des EU-Vertrags heißt es, dass die Europäische Union sich auf gemeinsame Werte aufbaut – wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Es ist schon fraglich, ob die rumänische Regierung zurzeit diese Werte tatsächlich achtet.
40, analysiert Entwicklungen ihrer rumänischen Heimat und anderer südwesteuropäischer Staaten für das „European Policy Center“, ein Think Tank in Brüssel.
Als es vor einigen Monaten eine ähnliche Diskussion über die Entwicklung in Ungarn gab, blieb die Europäische Kommission aber lange untätig.
Das stimmt. Aber schließlich hat sie in einigen konkreten Punkten Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Das hat auch in Ungarn etwas geändert. Das Problem ist, dass der EU in gewisser Weise die Hände gebunden sind. Theoretisch kann sie einem Staat, der die Grundwerte nicht achtet, Stimmrechte in den EU-Gremien entziehen. Aber dafür müssen sich alle Institutionen – also EU-Parlament, die Kommission und die Mitgliedstaaten – einig sein. Das ist schwer zu erreichen.
Was geschieht, wenn die EU jetzt nicht reagiert?
Das kann schwere Folgen haben. Es geht um die Grundwerte der Gemeinschaft. Werden die nicht geschützt, bleibt nicht mehr viel übrig. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit: Die EU kann nicht von Beitrittskandidaten, zum Beispiel auf dem Balkan, verlangen, ihre staatlichen Strukturen zu ändern für mehr Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und gleichzeitig selbst diese Werte nicht respektieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich