Eurokolumne: 60 Notfallseelsorger und ein Weihbischof
Heute beginnt die Fußball-EM. Ganz Österreich hat Angst vor dem Ernstfall. Ganz Österreich? Die Kirche fürchtet nichts.
Ralf Leonhard schreibt für die taz aus Österreich.
Es klappt doch! Österreichs Nationalmannschaft kann Spiele gewinnen. Mit einem 5:1 gegen den Fußballzwerg Malta (Fifa-Ranking 134) munitionierte sich das Team kurz vor Anpfiff der Fußball-EM mit Selbstvertrauen auf. Und das hatte Folgen: Jedes dritte österreichische Auto ist bereits vor Anstoß beflaggt.
Sollte es wider Erwarten nicht klappen, hat die Heilige Mutter Kirche vorgesorgt. Unter dem Motto "Vier Länder, drei Sprachen, ein Glaube" werden gemeinsame Messen für Spieler und Anhänger der österreichischen Gruppe (Deutschland, Polen, Kroatien) gefeiert. Parteiischer gibt sich da schon die evangelische Kirche, die vor dem Match Österreich-Deutschland einen "meditativen Gottesdienst" angesetzt hat. Sollte das erflehte Wunder für den nominellen Außenseiter Österreich trotzdem ausbleiben, will der steirische Weihbischof Franz Lackner trostreiche SMS an gläubige Fans verschicken, Bibelzitate und Papstworte inklusive. Außerdem werden im Raum Wien-Niederösterreich allein 60 Notfallseelsorger im Einsatz sein.
Auch die Ausstellung "Helden, Heilige, Himmelsstürmer" im Diözesanmuseum am Wiener Stephansplatz will zeigen, wie eng Fußball und Religion miteinander verknüpft sind. Die Kirche mit allen ihren Ablegern hat verstanden, dass es besser ist, manchen Trends nachzugeben, als sie zu ignorieren. Die "Young Caritas Wien" etwa lädt am Eröffnungstag der EM zu einem Integrations-Fußballturnier. Und das traditionell auf Fußball orientierte Hilfswerk "Jugendeinewelt" der Salesianer Don Bosco hat Hochkonjunktur. Die rührige Organisation fertigt seit Jahren Bälle, die garantiert fair und nicht in Kinderarbeit gefertigt werden.
Nicht nur kirchliche NGOs hängen sich an die Euro an. Auch die Menschenrechtsorganisation FIAN, die sich für das Recht auf Nahrung einsetzt, hat ihr Fundraising der Konjunktur angepasst. Junge Freiwillige ziehen durch Wiener Lokale und verteilen gegen eine Spende Trillerpfeifen, mit welchen man den Hunger oder dessen Verursacher auspfeifen kann. Die österreichische Mannschaft aber bitte nicht.
RALF LEONHARD
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