■ Euro-Disney steht kurz vor der Pleite. Heute wird das Unternehmen auf Herz und Nieren geprüft: Mickey Mouse ist sehr, sehr krank
Mickey Mouse ist sehr, sehr krank
Wo sich lächelnde amerikanische Plastikmäuse und glückliche Kinder aus ganz Europa in den Armen liegen sollten, herrscht Endzeitstimmung. Eineinhalb Jahre nach der Eröffnung steckt Euro Disneyland mit 20,6 Milliarden Franc (knapp sechs Milliarden Mark) tief in den roten Zahlen. Aktien des Unternehmens werden auf dem internationalen Finanzmarkt bereits zu Schleuderpreisen gehandelt. Die Wirtschaftsprüfer der 50 – zumeist europäischen – Gläubigerbanken beginnen heute mit einer Notuntersuchung des Unternehmens. Die düpierten privaten Kleinaktionäre haben eine Interessengemeinschaft aus der Taufe gehoben. Die 10.000 MitarbeiterInnen – 900 von ihnen wurden bereits entlassen – klagen über eine rasante Verschlechterung des Betriebsklimas in Europas größtem Freizeitpark. Selbst der Chef der amerikanischen Mutterfirma, Michael Eisner, drohte an, daß Euro Disneyland im Frühling die Tore dichtmacht. Bis zum 31. März will das Unternehmen mit seinen Gläubigern über neue Konditionen verhandeln. Seine Forderung: Entweder ein beträchtlicher Nachlaß auf den Schuldendienst, oder Disneyland zieht sich aus Marne-la-Valleé zurück.
Die Krise in Europas erstem – und für lange Zeit wohl auch letztem – Disneyland ist nicht leicht zu begründen. Immerhin zog das Gelände im Osten von Paris im vergangenen Jahr 11 Millionen BesucherInnen an – exakt so viele, wie von den Planern erwartet und sehr viel mehr als selbst die beiden bestbesuchten französischen Touristenattraktionen. Der Eiffelturm bringt es auf jährlich 5,4 Millionen und der Louvre auf 5 Millionen Besucher.
Doch die Disneyland-BesucherInnen verhalten sich nicht wie erwartet. Anstatt, wie ein Gutachten aus der Planungsphase kalkulierte, 1.000 Franc (etwa 300 Mark) pro Tag und Nase hinzulegen, üben sie sich in Konsumverweigerung. Die 5.700 Betten in den eigenen Hotels am Parkrand bleiben leer, trotz Sonderangeboten. Der niedrigste Eintritt liegt bei 175 Francs (50 Mark) für BesucherInnen über 12 Jahren. Für das Disney-Publikum ist auch das noch eine Menge Geld für ein bißchen Amüsement. Gerade in den Vorstädten, wo die Arbeitslosigkeit grassiert, träumen viele Jugendliche von Disneyland. Dagewesen ist kaum jemand.
Anders als in den amerikanischen Parks, wo es weit und breit keine Freizeit-Attraktion gibt, liegt Euro Disneyland nur 35 Kilometer von der Weltstadt Paris entfernt, deren kulturelles Angebot ungleich vielfältiger ist. Konkurrieren muß Disneyland auch mit dem fast gleichzeitig eröffneten Asterix-Park im Norden der französischen Hauptstadt, der zwar viel kleiner ist und weniger Besucher anzieht, aber dennoch bislang nicht in der Krise steckt.
Auf dem Immobilienmarkt spürt Disneyland die Krise besonders schmerzhaft. Das Unternehmen hatte vor, mehrere Hotels zu verkaufen, doch bislang ist kein einziger Kaufinteressent in Sicht. Gebaut hat Disneyland seine Hotels auf französischem Ackerland, das in den 80er Jahren rund 11 Franc den Quadratmeter kostete. Beim Verkauf könnte das Unternehmen leicht einen Quadratmeter-Preis von bis zu 500.000 Franc erzielen, schätzen Immobilien-Experten.
In Marne-la-Valleé waren die Konditionen günstig wie selten. Frankreich hatte mit großzügigen Angeboten den letzten Mitbewerber um den Standort Disneyland, Spanien, ausgebootet. Sowohl eine konservative als auch eine sozialistische Pariser Regierung unterzeichneten 1985 und 1987 die Verträge mit der Company. Auf Steuerkosten entstanden ein Autobahn-, ein Schnellbahn- und ein Anschluß für den Hochgeschwindigkeitszug, der in einigen Monaten eröffnet werden soll. Disneyland beteiligte sich mit einer symbolischen Summe. Darüber hinaus unterschrieb die Regierung einen Sondervertrag, der zahlreiche Ausnahmen vom französischen Arbeitsrecht gewährt. Über die Depositenkasse, die kommunale Investitionen in Kindergärten und Schulen finanzieren soll, gewährte der französische Staat den Amerikanern Kredite zu Zinssätzen, von denen andere nur träumen können: Statt den üblichen 9 Prozent bekamen sie 7 Prozent.
Einziges Argument für die Geschenke war die Arbeitslosigkeit. Mit Disneyland, so träumten die beiden letzten sozialistischen RegierungschefInnen Edit Cresson und Pierre Beŕegovoy, sei das Problem der Arbeitslosigkeit in der Pariser Region erledigt. Von bis zu 30.000 neuen Arbeitsplätzen war die Rede.
Rund 10.000 Arbeitsplätze sind von dem Traum geblieben. Die Mehrheit der MitarbeiterInnen verdienen den Mindestlohn und erleiden ein System von Denunziation und Drohung, das in Frankreich seinesgleichen sucht. Ein Gewerkschaftssprecher bezeichnet die Arbeitsbedingungen als „sektenähnlich“. Wer in Disneyland arbeitet, muß „lächeln, gehorchen und den Mund halten, sonst fliegt er raus“, beschreibt Roger Dupont von der CGT das „System Disney“.
Eine unternehmenseigene Polizei, von MitarbeiterInnen „Les Fox“ genannt, überwacht die Angestellten. „Die Zeit arbeitet gegen uns“, hat der US-Manager Eisner gesagt. Die meisten Franzosen verstehen seine Appelle an Gläubigerbanken und die Regierung als Pokerspiel. Sie setzen darauf, daß sich „doch noch alles regeln wird“.
Die britische Midland Bank ist offenbar skeptischer. Sie hat sich schon vor Beginn der Wirtschaftsprüfung aus der Affäre gezogen. Nach Informationen aus Börsenkreisen hat sie in dieser Woche Euro-Disneyland-Aktien für 25 Prozent ihres Wertes an verschiedene amerikanische Fonds verkauft. Wer hinter den „Fonds“ steckt, ist unklar. Fest steht jedoch, daß die Verluste der Walt Disney Company, USA, sich in jedem Fall in Grenzen halten werden. Denn bislang hat die amerikanische Mutterfirma, der 49 Prozent von Euro Disneyland gehören, nur maximal 20 Prozent bezahlt. Der Rest sind Schulden.
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