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Eugen Egner Am unteren Ufer des Teppichs

In den Provinzen stockte die gewohnte Schleifenproduktion, ohne dass ich mir irgendeiner Schuld bewusst war. Ich machte den ununterbrochenen parallelen Ablauf unterschiedlichster Ereignisse dafür verantwortlich, weil er sich stark überfordernd auswirkte. Niemand schaffte mehr etwas, alles blieb liegen. Es war absehbar, dass nachfolgende Generationen nicht mehr wissen würden, was Schleifen waren.

Doch ebenso wenig wie ich mich dafür verantwortlich fühlte, dachte ich daran, die Provinzen zu bereisen und für das Florieren der Schleifenproduktion zu kämpfen. Ich blieb daheim wie ein liegender Akkord. Obwohl ich mich der Welt verschloss, drangen bisweilen Nachrichten zu mir durch. So erfuhr ich von einer Frau, die in ihrem Garten Hunderte von Teekannen ausgrub.

Zuerst kam mir in den Sinn, auch ich könne im Garten erstaunliche Dinge ausgraben, aber schon bald stand fest: Ich grub im Garten gar nichts aus. Es lag mir fern, ihn überhaupt zu betreten. Von einem Fenster aus sah ich zu, wie er sich fortwährend veränderte. Manchmal war er mit großen Glasscheiben überdacht wie ein Treibhaus, und eine Zeitlang durchquerte ihn ein stark genutzter Fußweg.

Meine Situation entsprach der eines Menschen, der in einem alten Haus darauf wartet, dass das Wort erfüllt werde. Das Zimmer, in dem ich mich zumeist aufhielt, schien mit dem Haus zu tun zu haben, jedenfalls mehr als mit dem Garten. Gleich beim ersten Schritt in dieses Zimmer war ich unter den Teppich geraten. Ob es sich dabei um meinen eigenen Fehler oder den meiner Schuhe gehandelt hatte, wurde nie geklärt.

Am unteren Ufer des Teppichs konnte ich die Rufe der Eulen am Fluss hören. Sie klangen fast wie das Lachen ums Haus. Eine ruhige Gegend war das, ganz anders als die Provinzen, wo die Schleifenproduktion lautstark stockte, weil kein Teppich die Geräusche dämpfte. Manche in dieser ruhigen Gegend nannten die Rufe der Eulen „fettarm“, andere ärgerten sich über eine Formulierung wie „Die fettarmen Rufe der Eulen“.

Damit das Wort erfüllt werden konnte, hatte ich, bevor ich unter den Teppich geraten war, meine selbstgewählten heillosen Lötarbeiten unterbrechen müssen. Mit den bislang vorliegenden Ergebnissen konsultierte ich nun einen Spezialisten, um sie ihm zu zeigen.

„Es ist alles Schrott“, urteilte der Spezialist. „Das müsste Ihnen doch sofort aufgefallen sein.“ Er stützte sich mit beiden Händen auf die Platte seines Schreibtischs und riet mir: „Nehmen Sie Abstand und sehen Sie genau hin. Falls nötig, schließen Sie die Augen oder wenigstens eins.“

Indem ich seinem Rat gemäß ein Auge schloss, nahm sein Profil das Aussehen eines weithin als Ausflugsziel beliebten Flussufers an. Noch im selben Augenblick fasste ich den Entschluss, diesen reizvollen Ort bei nächster Gelegenheit als Spaziergänger zu besuchen. Vielleicht konnten die Eulen etwas mit meinen unvollendeten Lötarbeiten anfangen.

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