: „Etwas Großartigeres als Kinder gibt es nicht“
Katrin Göring-Eckardt hat den Grünen das Thema Familie beschert. Privat wohnt die Grüne Fraktionsvorsitzende mit Mann und Kindern in einem Häuschen, glaubt an Gott und baut Ikea auf. Lebt sie konservativ – oder progressiv?
INTERVIEW JENS KÖNIG, SUSANNE LANG, PETER UNFRIED
taz: Frau Göring-Eckardt, Sie haben mal behauptet, sie könnten Stümpfe stricken und Brot backen – können Sie auch Rasen mähen und ein Ikea-Regal aufbauen?
Katrin Göring-Eckardt: Ja, aber schlechter. Rasenmähen ist noch ziemlich einfach, Ikea-Regale baue ich auch auf, das nervt mich aber.
Ist Ikea nicht längst spießig?
Ikea ist praktisch. Vielleicht auch spießig, darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Meine Wohnung ist auch nicht voller Ikea-Regale, aber es sind welche da, in Flur und Kinderzimmer.
Würden Sie sagen, dass Sie in einer deutschen Durchschnittsfamilie leben?
Statistisch betrachtet bestimmt. Zwei Erwachsene, zwei Kinder, noch drei Kinder, ein bisschen Verwandtschaft und ansonsten: beide berufstätig. Das ist inzwischen auch normal in beiden Teilen der Republik. Es wird auch immer üblicher, dass einer woanders arbeitet.
Wie leben Sie in Thüringen? Wohnung oder Haus?
In einem Haus.
Mit Garten?
Garten und Teich.
Sie sind verheiratet?
Ja.
Warum?
Um den göttlichen Beistand zu erhalten. Weil ich glaube, dass man eine Partnerschaft nicht alleine schafft, wenn überhaupt.
Sie glauben an Gott?
Ja.
Auf welche Schule gehen Ihre Kinder?
Waldorf. Sie waren auf einer staatlichen Schule, der Kleine von beiden fand das schrecklich. Alternativen gab es nicht so viele. Die Waldorf-Schule bot sich an und ist für beide auch genau die richtige Wahl.
Wer passt auf die zwei auf?
Wenn das Kind zehn Zentimeter größer ist als die Mutter, findet man nicht mehr, dass auf einen aufgepasst werden muss. Als sie kleiner waren: Kinderfrau und Freunde.
Sonntags: Kneipe oder Kirche?
Sowohl als auch.
Ihr Leben in Berlin? Wohnung oder WG?
Wohnung.
Haushaltshilfe oder selber putzen?
Selber putzen lässt sich nicht umgehen, aber vor allem Haushaltshilfe.
Angemeldet?
Natürlich.
Aktien oder Altersvorsorge?
Weder noch. Unvernünftig, ich weiß.
Haben Sie das Gefühl, dass es einer Durchschnittsfamilie wie Ihrer im Jahr 2004 in Deutschland gut geht?
Relativ gut – aber nicht wirklich gut. Den meisten Familien fehlt nicht so sehr das Geld. Es mangelt ihnen vor allem an Möglichkeiten, Familie, Beruf und Freizeit miteinander zu verbinden, an einer entsprechenden Infrastruktur – angefangen bei Kitaplätzen für die Kleinen bis hin zu ordentlichen Schulen und Freizeitmöglichkeiten.
Ist das nicht in erster Linie eine Frage des Geldes bzw. der Umverteilung des Geldes?
Man muss den Familien zuallererst die Möglichkeit geben, selbst das leisten zu können, was in einer Familien stattfinden soll: für Erziehung zu sorgen, den Kindern eine Orientierung zu geben. Natürlich geht es da auch um Geld, aber vor allem um die Verteilung von Chancen. Dabei spielt die Qualität der Kinderbetreuung und der Schule eine genauso wichtige Rolle wie das gesamte Lebensumfeld. In Unterschichtsfamilien ist es oft so, dass Kinder auf sehr engem Raum leben, dessen Mittelpunkt der Fernseher ist. Wenn jemand in einer Familie aufwächst, in der keine Bücher gelesen werden, ist das ein unbestreitbarer Nachteil, den man nicht so ohne weiteres ausgleichen kann. Aber die Gesellschaft sollte wenigstens dafür sorgen, dass die Schulen ordentliche Bibliotheken haben und die Kinder zum Lesen angeregt werden, wenn schon nicht zu Hause, dann in der Schule.
Wie war das bei Ihnen: Haben Sie das Umfeld für Ihre Kinder selbst organisiert oder war die Infrastruktur so gut, dass alles wunderbar geklappt hat?
Beides. Die Infrastruktur war vorhanden, aber natürlich war es auch eine schwierige Entscheidung, die Kinder auf eine 35 Kilometer entfernte Schule zu schicken und sie jeden Morgen in den Zug zu setzen. Für die Kinder bedeutet das aber auch ein Stück Freiheit.
Haben Sie jemals ernsthaft daran gedacht, anders zu leben als in einer Familie?
Nein.
Warum nicht?
Eine Rolle spielt bestimmt, dass meine Mutter gestorben ist, als ich 18 war. Schon allein deshalb wollte ich eine Familie haben.
Sind Sie in einer typischen DDR-Familie aufgewachsen?
Fast. Meine Eltern kamen beide aus sehr einfachen Verhältnissen, sie hatten keine humanistische Bildung. Mein Vater hat eine Tanzschule gegründet. Er war in amerikanischer Kriegsgefangenschaft und hat dort Bühnentanz gelernt. Die Tanzschule in der DDR bedeutete seinen sozialen Aufstieg. Und dass meine Eltern selbstständig waren, ist etwas untypisch für die DDR.
Warum wollen junge Menschen heute wieder eine Familie gründen?
Ich vermute, das ist eine Sehnsucht nach Sicherheit. Und es geht um Verantwortung auch für andere. Man lebt und denkt ja nicht nicht nur für sich selbst.
Die junge Leute sehnen sich nach einer Sicherheit, die der Sozialstaat nicht mehr bietet?
So einfach funktioniert das nun auch wieder nicht. Das würde ja heißen, dass es weniger Familien gab, als der Sozialstaat noch sicherer schien.
Vielleicht wollen sie ja auch aus ganz anderen Gründen zusammenleben.
Aus Liebe, meinen Sie?
Halten Sie das für abwegig?
Natürlich nicht. Ich meine nur, dass sich eine Mehrheit schon immer für das Familienleben entschieden hat. Und es gab auch immer schon andere Lebensvorstellungen. Aber natürlich wächst in Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheit der Wunsch nach privater Bindung, das will ich gar nicht bestreiten.
Können Sie die junge Frauen und Männer verstehen, die ständig übers Kinderkriegen nachdenken und reden, sich aber am Ende nicht trauen?
Ja, natürlich.
Und? Raten Sie zum Kind?
Unbedingt. Etwas Großartigeres gibt es nicht. Bei allem Stress, Zoff, Geld, der Zeit, die das kostet.
Hatten Sie selbst nie Angst?
Nein. Die Entscheidung für ein Kind empfand ich als normal. Das liegt daran, dass ich in der DDR aufgewachsen bin. Mein erstes Kind habe ich mit 24 Jahren bekommen – in meiner Klasse war ich die Vorletzte.
Manche denken immer noch, bei den Grünen ersetzt die Partei die Familie.
Ja?
Die Grünen sind keine Single-Partei mehr?
Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg ist den Grünen zum ersten Mal eine ausgeprägtere Kompetenz in Fragen der Bildung und der Familie zugeschrieben worden. Deshalb wurden wir gewählt.
In Hamburg gibt es auch sehr bürgerliche Grünen-Wähler.
Schrecklich, nicht wahr?
Lassen Sie uns zusammenfassen: Sie glauben an Gott, leben in einer traditionellen Familie und haben nichts gegen Ikea. Sie sind konservativ, dass es kracht.
Die Grünen sind von ihrer Entstehungsgeschichte her ja auch wertkonservativ.
Aber nicht, was die Familie betrifft.
Selbst das stimmt nicht. Schon früher auf den Parteitagen liefen immer Kinder durch die Gänge.
Die gehörten doch allen?
Das ist auch so ein Klischee. Sehr viele unserer Mitglieder leben genauso wie ich. Vielleicht sind nicht so viele religiös. Alles andere ist durchaus typisch.
Ihr Lebensentwurf irritiert einen Jürgen Trittin oder eine Claudia Roth immer noch.
Das müssen sie die beiden fragen. Ich glaube, sie haben sich an mich gewöhnt. Sie leben ja auch nicht so sehr anders.
Sie leben auch konservativ?
Mir ist ziemlich egal, wie Sie das nennen. Ich möchte nur nicht, dass mir jemand vorschreibt, wie ich zu leben habe. Das wäre in meinen Augen ein konservatives Weltbild.
Wo ist dann genau die Differenz zu einer CDU-Familie?
Familie ist Familie. Es gibt keine CDU-Familie.
Es gibt keine kulturelle Differenz mehr?
Mittlerweile wird in vielen Familien Biomilch getrunken. Die Unterschiede zwischen Parteien ergeben sich aus den politischen Überzeugungen – nicht in Bezug auf das Familienleben.
Muss man nicht sagen: Katrin Göring-Eckardt ergänzt sich gut mit Angela Merkel?
Was meinen Sie?
Weil Sie wie Merkel für ein konservatives Familienbild stehen.
Sie irren. Mit meinem Familienbild passe ich ganz gut zu Franz Müntefering.