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Archiv-Artikel

DAS PATT IN TÜRKISCH-ZYPERN VERSCHAFFT ANKARA MEHR SPIELRAUM Etappensieg der Proeuropäer

Mehr als fünfzig Prozent der Stimmen für die Europäische Union und ein einiges Zypern: Die Parlamentswahlen unter den türkischen Zyprioten haben zwar, was die Zahl der Mandate angeht, keinen eindeutigen Sieger. Doch das parlamentarische Patt entspricht dennoch einem großen Erfolg für die bisherige Opposition und einer Niederlage für die Nationalisten. Denn erstmals ist die unumschränkte Macht des ewigen Zyperntürken-FührersRauf Denktasch in Frage gestellt worden. Das Wahlergebnis hat bewiesen, welche Attraktivität Europa besitzen kann, wenn damit praktische Veränderungen und wirtschaftliche Hoffnungen verbunden sind. Wenn eine Partei schlicht mit der europäischen Flagge und einer Friedenstaube zum Wahlsieger werden kann, beweist das, dass Europa trotz endlosem Gezerre von Rom bis Brüssel keineswegs out ist.

Allerdings enttäuscht das parlamentarische Patt die großen Hoffnungen auf eine rasche Einheit der Insel. Denktasch wird sich wohl nicht so schnell als zyperntürkischer Verhandlungsführer in die Wüste schicken lassen wie erhofft. Andererseits kann der Politikveteran aber auch nicht so weitermachen wie bisher und den UN-Plan für einen gemeinsamen Staat mit den griechischen Zyprioten in die nächste Mülltonne treten.

Die Zyprioten erwartet ein mühsamer Prozess, der bis zum Mai nächsten Jahres nicht abgeschlossen sein wird. Damit tritt die griechisch dominierte Republik Zypern zu diesem Datum voraussichtlich allein der Europäischen Union bei. Die Demarkationslinie zwischen Nord und Süd wird zur faktischen Außengrenze der EU. Doch dabei muss es nicht bleiben. Die griechischen Zyprioten werden gut beraten sein, die Hand gegenüber ihren zyperntürkischen Nachbarn ausgestreckt zu lassen.

Denn das Wahlergebnis in Nord-Nikosia hat der türkischen Regierung neuen Handlungsspielraum beschert. Bisher wagte Premier Tayyip Erdogan keine Initiative für Zypern, weil der Widerstand aus Militärs, alter Bürokratie und Rauf Denktasch unkalkulierbar schien. Jetzt können sich die türkischen Nationalisten nicht länger auf die Ablehnung der Insel-Türken berufen.

In exakt einem Jahr steht die Reifeprüfung für die Europa-Tauglichkeit Ankaras an. Bis dahin, das weiß auch Erdogan, muss der Zypern-Konflikt geregelt sein, andernfalls werden die EU-Beitrittsverhandlungen gar nicht erst beginnen. Die türkische Regierung hat es in der Hand, ob dann gleich zwei internationale Erfolge gefeiert werden können: der EU-Beitritt ganz Zyperns und eine offene Tür für Ankara in Brüssel. KLAUS HILLENBRAND