Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen:
In diesem Jahr jährt sich der Mauerfall zum dreißigsten Mal. Doch das Land scheint aktuell gespaltener denn je. Ein Dramatiker, der vor 1989 in beiden Deutschländern gleichermaßen als grenzübergreifende Integrationsfigur galt, war Heiner Müller – Wanderer zwischen den Welten und luzider Kommentator des Epochenwechsels. Heute ist das Bewusstsein für seine Bedeutung etwas verblasst. So hat schon einmal vor zwei Jahren das HAU Theater eine großangelegte Erinnerungskampagne gestartet. Nun tritt das Berliner Ensemble mit dem nächsten Versuch an. Dessen Leitung hatte Müller von 1992 bis zu seinem Tod im Jahr 1995 inne.
Im BE läuft nun ein Stück über Heiner Müller an, das vom literarischen Alter Ego des Regisseurs Armin Petras – Fritz Kater – stammt. „Heiner 1–4. engel fliegend, abgelauscht“ ist es enigmatisch überschrieben. Es inszeniert der in Rostock geborene Lars-Ole Walburg, der aktuell auch Intendant des Schauspiel Hannover ist. (Berliner Ensemble: „heiner 1–4. engel fliegend, abgelauscht“, Premiere 26. 1., 20 Uhr).
„Sich nichts unterwerfen, keinem Menschen, keiner Liebe, keiner Idee, jene Unabhängigkeit wahren, weder an die Wahrheit zu glauben, falls es sie denn gäbe, noch an den Nutzen, sie zu kennen – dies ist die rechte Befindlichkeit von Menschen, die nicht gedankenlos leben können.“ Diese tollen Sätze des portugiesischen Schriftstellers Fernando Pessoa (1888–1935) sind auf der Internetseite des Theaterdiscounters zu lesen. Dort wird am 30. 1. das Stück „Der anarchistische Bankier“ uraufgeführt, das auf einer Erzählung Pessoas aus dem Jahr 1922 beruht. Der Theaterautor Ulrich Marx und der Schauspieler Leopold von Verschuer wollen den Stoff nutzen, um den Zusammenhang von Anarchie und Kapital zu erhellen, die sich ihrer Ansicht nach sehr ähnlich sind. So lesen sie Pessoas Erzählung als prophetischen Kommentar zum aktuellen Cum-Ex-Steuerbetrugsskandal. (Theaterdiscounter: „Der anarchistische Bankier“, 30. 1., 1. & 2. 2., jeweils 20 Uhr).
In den Kammerspielen des Deutschen Theaters läuft am 30. 1. die Premiere von René Polleschs „Black Maria“. Der Titel bezieht sich auf das erste kommerzielle Filmstudio der Welt, das der Filmpionier William K. L. Dickson 1892 in New Jersey erbaute und das eben „Black Maria“ hieß. Denn Farbe und Gestalt erinnerte die Zeitgenossen an die damals üblichen Gefangenentransporter, die ebenfalls den Namen „Black Maria“ führten. Und die visuellen Medien sind ja aus der Sicht mancher dabei, in viel umfänglicheren Sinn ihre User*Innen zu Gefangenen zu machen. (Deutsches Theater: „Black Maria“, Premiere 30. 1., 20 Uhr.)
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