Essen unter Aufsicht: "Das ist doch eklig!"
Wie man hygienische Lokale fürs Festessen findet, erklärt uns der Leiter von Pankows Lebensmittelbehörde: Dr. Zengerling.
taz: Herr Zengerling …
Zengerling: Gleich vorweg: Bitte veröffentlichen Sie nicht meinen Vornamen!
Wieso?
Ich möchte nicht, dass man mich im Internet findet, ich will nicht privat behelligt werden. Neuen Kollegen sage ich immer gleich: Lasst euch aus dem Telefonbuch streichen!
Auch im Organigramm Ihrer Abteilung stehen keine Vornamen, die Mail-Adressen sind komplett anonym. Werden Sie bedroht?
Wenn wir kommen, wird es teuer für die, die sich nicht an die Spielregeln halten. Ich zeige Ihnen mal was (holt drei Fotos aus einem Schrank). Die sind schon etwas älter, aber so was bekommen wir hier in die Behörde geschickt.
Dr. Zengerling
ist als Chef der Lebensmittelaufsicht im Bezirk Pankow auch zuständig für die Ortsteile Prenzlauer Berg und Weißensee. Die aktuelle Smiley-Liste findet man unter www.berlin.de/ba-pankow/verwaltung/ordnung/smiley.html.
Was ist das in dem Paket?
Hundekot.
Passiert so was häufiger?
Die Kollegen zählen es schon gar nicht mehr. Beschimpfungen, Anspucken, Stühleschmeißen, hatten wir alles schon.
Wann waren Sie denn selbst zuletzt auf Kontrolle?
Vorige Woche. Auf dem Lucia-Weihnachtsmarkt. Wir mussten etwas überprüfen. Was, kann ich Ihnen nicht sagen.
Und welche Utensilien nehmen Sie dann mit?
Den schwarzen Koffer da.
Was ist da drin?
Schreibzeug für die Protokolle, Probeentnahmebesteck, ein Thermometer, Kühlakkus.
Ist die Vorweihnachtszeit eigentlich eine Hoch-Zeit?
Nein, am meisten zu tun ist zwischen Frühjahr und Herbst wegen der ganzen Straßenfeste. Die Weihnachtsmärkte kontrollieren wir immer zur Eröffnung.
Was ist da besonders heikel?
Im Gegensatz zum Sommer muss man sich zwar um die Temperaturen keine Sorgen machen, aber man hat immer Stände, die den einfachsten hygienischen Anforderungen nicht genügen. Wenn etwa sägeraues Holz verbaut wird, also so, wie es aus dem Sägewerk kommt, ungehobelt.
Bretter.
Ja, Bretter, Pfosten, damit’s rustikal wirkt. Das kann ich machen, wenn ich Wollsachen verkaufe, aber das geht nicht für einen Lebensmittelstand. Wenn man da drüberwischt, bleibt der Lappen hängen, da klebt hinterher alles. Vorschrift sind reinigungs- und desinfektionsmittelresistente Oberflächen. Es gibt Plastikoberflächen, etwa Resopal, die sehen aus wie Holz. Habe ich zu Hause in der Küche. Sowas kann man doch nehmen!
Bei dem Gedränge: Worauf sollte ich gezielt achten?
Dass es eine ordentliche Wasserversorgung gibt.
Ich soll also einmal ums Häuschen rumgehen oder wie?
Na, man sieht ja, ob da Schläuche liegen. Oft haben Stände nicht mal ein Handwaschbecken. Da ist dann ein Glühweinbehälter mit einem Eimer drunter. Wer wäscht sich da schon die Hände!
Sie meinen, wenn Sie beruflich nicht hinmüssten …
Ich gehe privat auf keinen Weihnachtsmarkt. Ich gehe privat auch sonst auf keinen Markt. Da ist man wahrscheinlich berufsgeschädigt. Obst und Gemüse vom Bauern, okay, das wird ja geputzt, gebraten, gekocht. Aber Backwaren, Fisch, Fleisch gehören meiner Meinung nach nicht auf einen Markt. Schon weil alle Stände offen sind. Sehen Sie, an jeder Ecke liegen Hundekothaufen, in den meisten sind Eier von Spulwürmern. Die sind leicht wie Staub, jeder Windzug nimmt sie mit. Die landen dann auf den Lebensmitteln. Das Gemeine ist: Die Larven entwickeln sich erst im Menschen, sie fressen sich vom Darm aus durch den Körper, landen in Leber oder Lunge.
Klingt, als könnten Sie nicht entspannt essen gehen.
Naja, man kann sich ja vorher schlau machen. Kann jeder Verbraucher.
Heißt: Sie essen zu Hause und haben drei Stammlokale Ihres Vertrauens?
So ungefähr. Die sind aber nicht in meinem Amtsbezirk. Kann ja sein, dass es doch mal ein Verfahren gibt. Nur mal so: Selbst wenn ich in einem Bezirk essen gehen will, der die Kontrollergebnisse nicht veröffentlicht, kann ich dank Verbraucherinformationsgesetz an mein Veterinäramt herantreten und etwa sagen: Ich würde gerne mal die Akte meines Lieblingslokals oder Lieblingsfleischers ansehen. Da reicht ein formloser Antrag.
Wie oft passiert das?
Viel zu selten. Wenn die Leute dieses Recht häufiger nutzen würden, gäbe es keine Gammelfleischskandale mehr.
Die aktuelle Smiley-Liste Ihres Bezirks ist seit Mitte Dezember online. Aber um zu wissen, wo man in Pankow beruhigt sein Firmen-Weihnachtsessen buchen kann, muss ich mich durch 483 Seiten PDF wühlen.
Die Smiley-Seite ist eine gute Orientierung. Aber ich gebe zu, die Suchfunktion ist äußerst dürftig, das wissen wir auch. Derzeit haben wir kein Geld, um etwas anderes zu programmieren.
Eine Übersicht der Kategorien würde fürs erste reichen.
Oh, ich bin kein IT-Fachmann. Aber eine britische Firma hat ein Programm, mit dem hätte man auch gleich eine Handy-App und eine Suchfunktion, wo man sagen könnte: Zeig mir nur alle sehr guten Betriebe oder nur die im Umfeld jener Straße. Wir stehen in den Startlöchern: Sobald wir das Geld haben, geht’s los.
Bis dahin muss ich also auf der Gästetoilette des Lokals schauen, ob’s da sauber ist?
Das hilft schon mal. Wenn ein Restaurant an sich gepflegt ist, kann man davon ausgehen, dass die Küche halbwegs ordentlich aussieht. Aber viele Betreiber haben das nun begriffen, es kann also sein, dass die Toilette hui ist und die Küche trotzdem pfui.
Und dann?
Fragen Sie Ihr Veterinäramt.
Aber ich bin doch schon vor Ort.
Dann kann man nichts machen.
In Berlin gibt es einen Trend zur offenen Restaurantküche. Ist man da auf der sicheren Seite?
Das hat Vor- und Nachteile. Das Küchenpersonal ist schon animiert, sauberer zu arbeiten. Aber eine Garantie ist es nicht – schauen Sie sich nur mal manche Imbisse an, wenn die Wurst da in der Sonne liegt, ist das nicht wirklich gesund. Eigentlich sollte die Küche abgeschottet sein. Große Fenster zum Gastraum sind uns lieber.
Wegen der vielen Gäste?
Ja. Grundprinzip der Hygiene ist die strikte Trennung zwischen reiner und unreiner Seite, es gilt das Schwarz-Weiß-Prinzip.
Aber weil etwas eklig aussieht, ist es ja noch nicht gesundheitsschädlich. Wo ist da die Grenze?
Das spielt juristisch keine Rolle, die Vorschriften kennen den Begriff des Ekelerregens. Ein Beispiel: Dem Koch fällt ein frisches Schnitzel auf den Boden. Er hebt es auf, schmeißt es in die heiße Pfanne. Bei den Temperaturen sind alle Bakterien erstmal tot, sie hatten auch keine Zeit, sich zu vermehren. Gesundheitsschädlich ist es nicht, aber würden Sie das essen? Ich glaube nicht.
Hm. Rein logisch gedacht, warum nicht?
Ja, aber das ist doch eklig! Wenn die Küche aussieht wie unter Hempels Sofa, kann man nicht hygienisch arbeiten. Wenn der Verbraucher weiß, da laufen Schaben und Mäuse rum und sauber gemacht wurde zum letzten Mal zu Fred Feuersteins Zeiten, dann würde der da nichts essen wollen.
Sie sind Tierarzt – das scheint Standard auf dem Posten.
Das Veterinärmedizinstudium ist das einzige Medizinstudium, in dem man mehrere Semester Lebensmittelhygiene studiert und sich darauf spezialisieren kann. Das ist historisch gewachsen. Preußen führte 1870 bis 1875 als Maßnahme zur Tierseuchenbekämpfung den Schlachthofzwang ein. Die Polizeitierärzte schauten, welche Tiere krank waren. Daraus entwickelte sich die Fleischbeschau, man wusste, dass viel vom Tier auf den Menschen übergeht. Irgendwann hat man gesagt: Gemüse, Zucker, Mehl macht ihr jetzt auch noch, wir brauchen nicht zwei Ämter.
Können Sie im Bezirk rumlaufen, ohne erkannt zu werden?
Jeder Lebensmittelkontrolleur hat einen Kontrollbereich, da kennt man sich. Und nach einer Weile wissen die auch ungefähr, wann die nächste Routinekontrolle dran ist.
Weil im September 2012 ein neues Verbraucherinformationsgesetz in Kraft trat, mussten Sie Ihr System überarbeiten und haben mit den Kontrollen von vorne angefangen. 483 Betriebe haben Sie nun überprüft. Wie lange brauchen Sie noch?
Das lässt sich nicht leicht beantworten. In Pankow gibt es 7.500 Betriebe. Sie werden risikobasiert eingestuft: Wer mit Hackfleisch arbeitet – ein hochsensibles Lebensmittel –, ist öfter zu kontrollieren als einer, der trockene Brötchen verkauft. Andere Kriterien sind die Größe der Betriebe und ihre Klientel. Kinder, Senioren, Krankenhäuser sind auch eine Risikogruppe.
Reichen Ihre Mitarbeiter dafür?
Wir haben elf Lebensmittelkontrolleursstellen und sind so besser ausgestattet als andere Bezirke. Aber wir schaffen auch nur etwa 80 Prozent der Betriebe.
Hatte Ihre Abteilung eigentlich schon Weihnachtsfeier?
Nein, diese Woche.
Wo gehen Sie hin?
Wir machen das hier.
Aha. Und jeder bringt einen Nudelsalat mit?
Nein, ich habe etwas bestellt. Dort, wo man weiß, dass es ordentlich läuft.
Wie oft fragen Freunde Sie, wo man gut essen gehen kann?
Gar nicht. Die wissen, sie kriegen keine Antwort. Dafür gibt es gemäß Verbraucherinformationsgesetz ein offizielles Verfahren.
Na aber, so unter Freunden?
Ich bin preußischer Beamter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs