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Es versaut die Party

Welche ist die beste Hausbesetzung? Zu der erfolgreichen, wütend stimmenden Doku-Serie „Capital B“ über den Ausverkauf Berlins nach dem Mauerfall gibt es auch ein Buch. Darüber wurde jetzt im Heimathafen diskutiert

Von Robert Mießner

Das Berlinern steckt an, bemerkt Moderatorin Marion Brasch. Tatsächlich braucht es knapp zehn Minuten, bis die Schriftstellerin und Radio-Eins-Journalistin und Johnnie Stieler, seines Zeichens Mitbegründer des Technoclubs Tresor, miteinander Stadtsprache reden. Florian Opitz, um dessen Buch es am Donnerstagabend im Heimathafen Neukölln geht, bedient sich eines elastischen Zungenschlags. Und doch verkneift sich der Zugezogene – Opitz ist Saarländer wie der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker – den Hinweis nicht. Der Autor und Regisseur Opitz hat auf knapp 400 Seiten und in fünf Kapiteln eine böse und genaue Hauptstadtgeschichte geschrieben. Vielleicht brauchte es den Außenblick für „Capital B“, im Untertitel „Zwischen Anarchie und Ausverkauf. Die Geschichte Berlins von 1989 bis heute“.

Entstanden ist das Buch aus den 130 Stunden Interviewmaterial, das Opitz in einer sechsjährigen Recherche für die Doku-Serie „Capital B“ zusammengetragen hat. Deren Untertitel „Wem gehört Berlin?“ lässt an einen Klassiker des proletarisch-revolutionären Kinos denken, Slatan Dudows „Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt“ aus dem Jahr vor 1933 mit der Musik von Hanns Eisler. Musik spielt in „Capital B“ eine große Rolle, Opitz hat unter anderem Love-Parade-Mitbegründerin Danielle de Picciotto interviewt. Über weite Teile aber ist „Capital B“, ob Buch oder Film, eine Kriminalgeschichte. Marion Brasch meint, sie habe die Serie wie ein Shakespeare-Drama gesehen.

Beginnen lässt sie es kurz vor der Maueröffnung, die ihr den Westen zu Füßen gelegt hat, so Brasch. Mit ihr, Stieler und Opitz sitzen auf der Bühne die Schriftstellerin und Filmemacherin Güner Yasemin Balcı und der Stadtsoziologe Andrej Holm.

Die bekennende Neuköllnerin Balcı und der in Hohenschönhausen aufgewachsene Holm, zu Wendezeiten Hausbesetzer in Mitte, sprechen Hochdeutsch. Westberlin war eine Insel und Transitpunkt nach Istanbul, erinnert sich Balcı. Holm spricht von einer behüteten Kindheit und einer aufregenden Jugend; Stieler evoziert die verdämmernde DDR, depressive Bullen und rötlichen Nebel. Berlin war dunkel, war dreckig, war Kohlenstaub, ergänzt Brasch. Und die Freiheit, die man sich nahm, betont Stieler. Eine Freiheit, die er der Instagram-Jugend an das Herz legen möchte.

Der große Rausch der neunziger Jahre ist ausgiebig erzählt worden. „Capital B“ macht, was dringend nötig ist, es versaut die Party. Florian Opitz spricht von „Abbau Ost“. „Die Immobilienfritzen haben Monopoly gespielt, während wir tanzen waren“, sagt Holm. Das Ergebnis ist das Berlin des Jahres 2025, eine geteilte Gesellschaft wie Istanbul oder New York, meint Balcı. Ihr Hauptstadtstimmung pendelt zwischen Traurigkeit und Wut, sagt sie noch. Gib uns doch mal Hoffnung, Andrej, bittet Brasch Holm. Er verweist auf den Mietendeckel 2020/21: „Der wäre in München undenkbar gewesen.“ Opitz betont: „Das Besondere an Berlin sind die Widerstände. Da gucken andere Städte drauf.“ Und nach einer Pause: „Wir sind durch die Kriege gelähmt. Darauf setzt die Gegenseite.“ Es ist der praktische Teil des Abends. Noch einmal Andrej Holm: „Wir hätten nicht die Häuser, sondern die Wohnungsbaugenossenschaften besetzen sollen.“

Florian Opitz: „Capital B: Zwischen Anarchie und Ausverkauf – Die Geschichte Berlins von 1989 bis heute“, Klett-Cotta, Berlin, 2025, 400 Seiten, 26 Euro

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