: Es schimmert unter der Patina
■ Mit einem großen Spendenaufruf packt der Kunstverein die Sanierung der Bremer Kunsthalle erstmal selbst an – die Stadt und der Bund sollen folgen/ 20 Millionen Mark Gesamtkosten
19 kunstsinnige Bremer Familien waren es, die den Bau der derzeitigen Kunsthalle auf den Weg brachten. Das war im Jahre 1902. Die Schrammen, die der neoklassizistische Bau seither erlitt, sind heute deutlich ablesbar: Jahrzehntelang konnte die notwendige Bauunterhaltung nicht gepflegt werden – jetzt regnet es rein, die Wände haben deutliche Risse, viele Ecken sind in konservatorisch bedenklichem Zustand. Um das Geld für die dringend anstehende Totalsanierung der Kunsthalle aufzutreiben, wird es ein paar Bremer Familien mehr brauchen als zur Jahrhundertwende. Rund 10.000 Bremer Adressen hat das neue „Kuratorium zur Erneuerung der Kunsthalle“ angeschrieben; über private Spenden soll in den nächsten Monaten die Summe von sieben Millionen Mark zusammenkommen und die Sanierung in Gang bringen.
Damit ergreifen die Privatleute die Initiative, nachdem sich im Laufe der Legislaturperiode abgezeichnet hatte, daß aus öffentlichen Kassen die gesamten Sanierungskosten von 20 Millionen Mark nicht bezahlt werden können. Jetzt soll der Schaden geteilt werden: Wenn der Kunstverein, Träger der Kunsthalle, ein Drittel auftreibt, will das Kulturressort ein weiteres dazutun; der Rest soll dann vom Bund kommen – so der Deal des Kunstvereins, auf den sich die Kultursenatorin einließ. Jetzt wird es ernst mit dem Versprechen: Das vom Kunstverein berufene, neue Kuratorium demonstriert eisernen Siegeswillen und Optimismus, wie gestern auf einer Pressekonferenz deutlich wurde.
Die ersten beiden Millionen nämlich hat man schon im Sack, wie Dieter Berghöfer als Sprecher des Kuratoriums bekanntgab. Die letzte Million werde zwar wohl die schwerste sein; aber an der Spendenbereitschaft der Bremer Bürgerinnen und Bürger habe das Kuratorium keinen Zweifel. Gerade der enorme Publikumserfolg der Toulouse-Lautrec-Ausstellung – über 70.000 Besucher sahen die Schau bisher – erscheint da als hilfreich und soll signalisieren: „Es ist ein Aufbruch da.“
Zusätztliche Motivation soll das Jubiläumsdatum bringen, das dem Kunstverein ins Haus steht. 175 Jahre wird die Initiative 1998 alt, das soll in würdigem Rahmen begossen werden und möglichst ohne Regenspritzer im Sekt. Für die aufwendige Sanierung bedeutet das: 1996/97 muß die bauliche Erneuerung kommen; die Spender müssen sich also möglichst bald ein Herz fassen: „Wir haben uns das Ziel gesetzt, bis 30.6. nächsten Jahres die private Finanzierung gesichert zu haben“, sagt Berghöfer. Und dann wären das Land Bremen und der Bund am Zug.
Aber auch eine inhaltliche Erneurung soll mit der Sanierung einhergehen. Den Eindruck, bei der Kunsthalle könne es sich um eine elitäre Institution handeln, will der Kunstverein gründlich abschütteln: Nicht nur das Gebäude, sondern auch das Image des Hauses habe ja in den vergangenen Jahren „eher eine gewisse Patina angesetzt“, sagt Berghöfer. Eine neue Hängung der guten Sammlerstücke ist angepeilt; und Wulf Herzogenrath, der neue Direktor, verspricht zur Jahresmitte eine populäre Ausstellung, die auch die jüngeren Bremer ansprechen soll. tom
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