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„Es muß was für uns herauskommen!“

■ Gestreßte Rheinhausener Belegschaft entschlossen zur Fortführung des Ausstandes / Hoffen auf „geringe Chance“ / „10.000 Ameisen, die gegen drei Elefanten kämpfen“ sind sauer auf die IG Metall und Spitzenpolitiker

Aus Rheinhausen P.Bornhöft

Emsig popelt der schwarz gekleidete Junge in der Nase und verschlingt - den Groschenroman. Kein Blick aus dem Fenster des Zuges, der durchs Ruhrgebiet schüttelt. Rheinhausen? Nur wenige Kilometer vor den Streikposten an Tor 1 der seit fast fünf Monaten umkämpften Hütte ist das am Dienstag kein Thema für die Reisenden. „Vor Ort“ indes erwarten die Diskussionstrauben für „heute die Granate aus Bochum“, sagt Dreherin Steffi Appelt (26). Seit vergangenen Freitag deutete für die Belegschaft alles darauf hin, daß der Krupp–Vorstand Dienstag die Stillegungspläne im Aufsichtsrat in Bochum absegnen lassen wollte. Die ArbeiterInnen legten die Produktion lahm. Seit November 1987 bestreikten sie 68 Schichten, um die Bosse zu Verhandlungen über das Alternativkonzept des Betriebsrates zu bewegen. Wie berichtet zielt es auf den Erhalt des Stahlstandortes. „Der Vorstand hat drauf geschissen“, empört sich Steffi Appelt, und legt schnell die Hand über den Mund. Aber es stimmt, bisher zeigten die Herren keinerlei Interesse an dem Modell, demzufolge 2.000 Arbeitsplätze mehr als nach Konzernplänen erhalten werden könnten. „Seit dem Wochenende, nach der Veröffentlichung des Cromme–Gesprächs und unserem Besuch in Düsseldorf und wegen der Arbeitsniederlegung schwitzen sie“, sagt Schlosser Lothar Aps (50), „es muß einfach was für uns herauskommen, auch wenn unsere Chancen gering sind“. Aps und seine wacheschiebenden Kollegen verlieren pro Ausfallschicht etwa 150 Mark, je nach Lohngruppe. Rund 60 Prozent davon sollen aus der „Soli–Kasse“ ersetzt werden. Viele fürchten, daß die bisher gespendeten 1,1 Millionen Mark für 5.300 Beschäftigte „fast verbraucht sind“. Niemand weiß genaues, alle spekulieren über das Gerücht, „Arbeitswillige“ mogelten sich irgendwie in den Betrieb. Auch in der verqualmten Pavillion–Kneipe 300 Meter vor Tor 1 diskutieren die Männer über die Spaltung. „Sie ist da, aber wir müssen es zuende bringen“, meint ein rundlicher Walzwerker. Er ist stinksauer, auf alles und jeden, fand die Düsseldorfer Aktion mit Brückenblockade weder „mutig“, „schön“ noch „heiter“. Der Rau sei doch „wie ein Hase in den Landtag gejagt“. Das sehen die anderen Altbier–Trinker ganz anders. Langsam röten sich die Gesichter. Schlichtend greift der Wirt ein: „Aber hier sehen lassen sich die Sozis auch nicht. Und welchem Politiker kannst Du überhaupt noch glauben heute?“. Nicken. Schweigen. Die Runde landet beim zweiten Dauerthema: IG Metall. Niemand, der sich nicht im Stich gelassen fühlte von der Gewerkschaft. „Da in Düsseldorf hab ich links gekuckt, hab ich rechts gekuckt und alles gesehen - bloß unsere Gewerkschaft nicht“. Nachmittags kündigt der Duisburger IG–Metallchef bei der Betriebsversammlung an, die lokalen Stahl–Gewerkschafter und Betriebsräte wollten am kommenden Montag im IGM–Stahlaktionsaus schuß „bundesweite Aktionen für Rheinhausen“ fordern. Müder Beifall, der Jugendliche mit blonder Poppertolle glaubt nicht, „daß die Gewerkschaftsbosse noch an unserer Seite stehen und ihren Hintern rechtzeitig hochkriegen“. Ungeduldig hören sich die Versammelten telefonische, per Lautsprecher übertragene „solidarische Grüße“ aus der Republik an. „Ihr habt Geschichte gemacht“, als wenns schon vorbei wäre. Um 16 Uhr eilt Manfred Bruckschen, Betriebsratsvorsitzender, in die Halle und berichtet von der Aufsichtsratssitzung in Bochum. „Schon nach der Hälfte meines Berichtes waren die Kollegen unzufrieden mit der Verschiebung der Entscheidung über die Hütte vom 2. auf den 19.Mai“, sagt er später in eine Fernsehkamera. Die Stahlkocher sehen keinen Erfolg, fühlen sich „verdummbeutelt“. Nach nur zwnzig Minuten interner Diskussion der 2.000 steht der Beschluß der Belegschaft fest: Die Produktion wird erst wieder aufgenommen, wenn „der Vorstand deutlich zu erkennen gibt, daß er inhaltlich auf das Betriebsratskonzept einschwenkt und vom Stillegungsbeschluß Abstand nimmt“. Jubelstürme bleiben aus. Auch unter den weit über 1.000 BesucherInnen des abendlichen Treffens des Bürgerkomitees in der Menage viele müde Gesichter bei den seit Monaten Aktiven. In der Diskussion -sie spannt den Bogen von den Vorkämpfern der Arbeiterbewegung aus der Weimarer Republik bis zum „Lügner Cromme“ - geht die brisante Nachricht fast unter: Der Krupp– Vorstand habe, so Bruckschen, ihm bedeutet, daß doch am 2. Mai über die Hütte entschieden werde und Verluste infolge des Ausstandes aus den Sozialplangeldern beglichen würden - wenn nicht am gleichen Abend die Produktion wieder aufgenommen werde. Das geschieht nicht.

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