piwik no script img

Es ist stillos, von der Weihnachtszeit gestressten Verkäuferinnen am ersten Sonntag des Jahres gleich wieder einen zusätzlichen Arbeitstag aufzuzwingenHamburg und seine Menschen kriegen den Hals nicht voll

FREMD UND BEFREMDLICH

Katrin Seddig

Nach Tagen der Völlerei, nach Tagen des Geldausgebens und ­Geld-in-die-Luft-Ballerns, des Rausches und des Überflusses, den Gelagen des alten Jahres, folgt der verkaterte erste Tag des neuen Jahres, es ist ein bisschen schmutzig auf den Straßen, und still, denn an diesem Tag kann man nicht einkaufen. Man kann natürlich an die Tankstelle gehen oder an den Hauptbahnhof fahren, man kann auch zu einem der Kioske gehen, die Fladenbrot verkaufen und Zigaretten und Bier und eingelegte Bohnen, und die irgendwie immer auf haben, aber so richtig schön shoppen kann man nicht.

Das konnte man aber dann in diesem Jahr am Samstag zum Glück, da konnte man bis zum Abend shoppen, und dann konnte man am dritten Januar in ganz Hamburg auch noch am Sonntag shoppen, denn dieses Jahr begann in Hamburg mit dem ersten verkaufsoffenen Sonntag am ersten Sonntag, der in diesem Jahr überhaupt ist. Und die Stadt war voll. Die Stadt quoll über vor Einkaufslustigen.

Fünfhunderttausend Menschen sollen am Sonntag in Hamburg einkaufen gewesen sein. Jeder dreikommavierte Einwohner. Finde ich das nur erstaunlich oder auch ein bisschen erschreckend? Die Stadt hat anschließend sich und ihr Einkaufen mit einem tollen Feuerwerk gefeiert. Ich habe es von meiner Dachwohnung aus sehen können. Das große Feuerwerk zwei Tage nach dem großen Feuerwerk. Das Feiern nach dem Feiern. Das Vorfeiern, das Nachfeiern, das Feiern überhaupt. Champagner für alle!

Die Stadt und die Menschen kriegen den Hals nicht voll. Es wird alles, was es zu feiern und vor allem zu konsumieren gibt, nach allen Seiten hin ausgedehnt. Die Weihnachtsmärkte heißen Wintermärkte und öffnen im Oktober und gehen schließlich bis in den Januar hinein. So konnte man am Jungfernstieg (und kann das noch bis zum sechsten Januar!) Glühwein trinken und geröstete Kastanien essen, die Stadt war immer noch festlich geschmückt, man konnte das Glitzern auf den Tannenspitzen noch sehen, man konnte noch die Glocken klingen hören und konnte sich weihnachtlich fühlen, in Kauflaune, in Shoppinglust aufgehen. Da hat sich einer was bei gedacht, schließlich wird an Weihnachten auch viel Geld verschenkt. Die Weihnachtssaison erstreckt sich im Handel mittlerweile ab ungefähr August bis Mitte Januar. Also über das halbe Jahr.

Dann werden die Schokomänner gegen Schokohasen ausgetauscht, dann kommt der Sommer, wo man mal im Urlaub so richtig nicht aufs Geld gucken will, aber dann schon wieder August und da fängt ja Weihnachten an.

Ich will nicht scheinheilig sein. Ich shoppe auch. Ich mag das Schöne, ich mag schöne Dinge, schöne Schuhe und schöne Kleider, ich spaziere gerne durch den Neuen Wall und sehe mir die wunderschönen Kleider an, in den wunderschönen Schaufenstern, die ich mir nie werde leisten können, die ich aber schon schön finde.

Chanel und Prada und Gucci, Yves Saint Laurent, und dann die Schaufenster von Jil Sander! Die sind so großzügig, so wunderschön! Da ist nie jemand drin, in diesem riesigen Laden, der muss Unmengen an Miete kosten, aber das scheint keine Rolle zu spielen, da scheint es nur um Schönheit zu gehen, um Geschmack, um Stil, davor verneige ich mich.

Aber welchen Stil hat es, zwei Tage nach dem Anbruch eines neuen Jahres, das mit einem Feuerwerk begrüßt wird, noch ein Feuerwerk zu veranstalten, zur Feier des Shoppens am Sonntag, wo man den armen, gestressten Verkäuferinnen nach den anstrengendsten Arbeitstagen des Jahres einen zusätzlichen Arbeitstag aufzwingt?

Es hat keinen. Es ist geschmacklos und widerspricht allem feinen Empfinden für Zeit und Angemessenheit.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen