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„Es ist ein Spielen mit der Zeit“

Ein Konzert in Bremen erkundet dietemporalen Strukturen von Musik und ihre Tücken

Foto: Uni Bremen

Norman Sieroka

47, Professor für Theoretische Philosophie an der Uni Bremen, forscht zu den Themen „Zeit“ und „Kritisches Denken“.

Interview Teresa Wolny

taz: Herr Sieroka, was ist, aus zeit-philosophischer Perspektive, Musik?


Norman Sieroka: Musik ist in besonderer Weise ein zeitliches Phänomen und hat viel mit dem Erleben von Zeit zu tun. Auf der materiellen, physikalischen Ebene geht es um Frequenzen und Dauern. Aber auch im Erleben geht es um zeitliche Regularitäten, um Klänge und Rhythmen.



Ändert sich diese Charakterisierung, wenn wir nicht von Livemusik, sondern von Aufnahmen sprechen?


Die erlebte Zeit ist dabei sehr unterschiedlich. Die Unmittelbarkeit des Erlebens ist bei einem Konzert eine ganz andere. Aus einem Konzert gehe ich ganz anders heraus als aus dem Hören einer Aufnahme. 

Ein bekanntes Stück zum Thema „erlebte Zeit“ ist „Four Thirty-Three“ von John Cage, in dem viereinhalb Minuten gar kein Ton zu hören ist. 
Gerade bei diesem Stück kann man sich fragen, auf welche Strukturen in der Zeit man eigentlich hören soll. Oft bestehen die Strukturen aus Melodien, bei denen mehr oder weniger klar ist, auf was ich achten muss. Aber Cage geht es in dem Stück wohl eher darum, alle Geräusche als Teil der Musik zu akzeptieren. Denn es ist in dieser Zeit ja nicht still – ein Stuhl knarzt, jemand hustet. Musik ist dann spannend, wenn etwas nicht erwartet wird, und damit spielt Cage ganz bewusst. Aber auch im Jazz geht es viel um Erwartungen und Spontaneität.



Sind Zeitstrukturen bei improvisierten Stücken anders als bei Partituren? 


Konzert „Musik und Zeit“: Sa, 19 Uhr, Kulturkirche St. Stephani, Bremen

Auch in jedem auskomponierten Werk geht es um Zeitstrukturen, aber eine Besonderheit beim Improvisieren ist der eigene freie Umgang damit. Es ist quasi ein Spielen mit der Zeit – was passiert, wenn ich diese Pause länger mache, wie reagiert das Publikum, und wie reagieren vor allem die anderen Mu­si­ke­r:in­nen auf der Bühne darauf? Improvisation ist dabei übrigens nicht auf den Jazz begrenzt, sondern findet ebenso statt, wenn Anna Depenbusch als Liedermacherin am Klavier sitzt und spontan aufs Publikum reagiert. 



Neben ihr stehen am Samstag Saxofonist Uwe Steinmetz und Organist Daniel Stickan auf der Bühne. Was ist das Besondere bei diesem Konzert? 


Dass die drei zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne stehen, um Zeit hörbar zu machen. An der Uni gebe ich gerade ein Seminar, in dem wir uns theoretisch mit dem Zusammenhang von Zeit und Musik beschäftigen. Vor dem Konzert gibt es für die Studierenden einen Workshop, in dem die Künst­le­r:in­nen selbst erzählen, warum Zeit in ihrer Kunst so wichtig ist. Und abends gibt es dann als Höhepunkt das öffentliche Konzert.

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