: „Es gibt keinen bestimmten Opfertyp“
■ Notruf: Selbstverteidigungskurse nicht sinnvoll
Von Selbstverteidigungskursen halten die Mitarbeiterinnen des Bremer „Notrufs für vergewaltigte Frauen und Mädchen“ nicht viel. „Frauen verhalten sich immer adäquat, das heißt auch, daß sie sich unterwerfen, wo der Täter sonst mit ziemlicher Sicherheit mit dem Messer zugestochen hätte“, sagt die Psychologin Ulrike Kretschmann. Auch das Argument, daß die Frauen durch Selbstverteidigungstraining selbstbewußter in der Öffentlichkeit auftreten und dadurch Täter abschrecken, läßt sie nicht gelten: „Die Täter greifen oft gerade Frauen an, die einen starken Eindruck machen.“ Es gebe keinen bestimmten „Opfertyp“.
Erst recht nicht sinnvoll finden die Notruf-Mitarbeiterinnen Präventionskurse für Jugendliche und Kinder, wo man lerne, dem Fremden gegen das Bein zu treten. „Es ist in der Regel nicht der Fremde, der angreift, sondern der Vertraute — und den tritt man nicht gegen's Bein.“ Immer wieder kämen Mädchen zu ihr, die vergewaltigt worden sind, obwohl sie an einem solchen Training teilgenommen haben. Fatal findet sie diese Programme vor allem deswegen, weil die Kinder und Jugendlichen lernen, Sexualität als gefährlich zu empfinden.
Das Notruf-Team hat ganz andere Vorstellungen von Prävention: Man müßte bei den Tätern ansetzen. Vergewaltigung nämlich sei ein Wiederholungsdelikt, und es sei bekannt, daß man Sexualtäter therapieren könne. „Vergewaltiger sind in der Regel schwache Männer mit niedrigem Selbtwertgefühl“, so die Psychologin Margot Schmid-Siegert. Zwar müssen verurteilte Vergewaltiger häufig eine Therapie machen — die Initiative jedoch, die in Bremen mit Tätern arbeitet, werde zu wenig unterstützt.
Auch in die Opferbetreuung müßte mehr Geld gesteckt werden, findet das Notruf-Team. Frauen, die vergewaltigt wurden, sind voller Agression — die sie dann entweder gegen sich selbst wenden oder gegen die Kinder. „Die Gewaltspirale dreht sich weiter“, sagt die Psychologin Margot Schmid-Siegert. Sie weist darauf hin, daß Vergewaltiger häufig als Kinder sexuell mißbraucht oder psychisch mißhandelt wurden. cis
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