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„Es gibt keine militärische Lösung“

■ Seit Freitag im Südosten Sri Lankas 26 Tote / Die LTTE operiert aus dem Hinterhalt / Die Regierung reagiert mit Razzien, Strafexpeditionen und appelliert an den Wehrwillen der Bevölkerung

Colombo (taz) - „Wir warten darauf zu sterben“, sagt Gloria Williams, deren kleiner Pfarrhof in einer Methodistenkirche außerhalb Trincomalee jetzt ein Flüchtlingslager ist. An die tausend Tamilen hausen hier in Zelten und auf den Stufen der Kirche. Sie haben keine Möglichkeit nach Hause zurückzukehren, denn sämtliche Häuser der Tamilen sind zerstört, oft bis auf die Grundmauern. Man findet weder Teenager noch Männer, die nicht bereits am Stock gehen. Wer den Suchaktionen der Armee und den nächtlichen Killerkommandos entgehen konnte, ist in den Dschungel geflohen. Hier im Nordosten Sri Lankas ist das Land weiter denn je von einer Friedenslösung entfernt. Auch wenn die Armee Anfang Juli noch stolz verkündete, sie hätte die drei wichtigsten Städte im Osten, Trincomalee, Batticaloa und Amparai unter Kontrolle, so sagt das wenig über das tatsächliche Kräfteverhältnis in den umkämpften Gebieten aus. Die Guerilla der LTTE lassen sich nur noch selten auf direkte Konfrontation mit den Regierungstruppen ein, operieren lieber mit der effektiven „hit and run -Taktik“ aus den verminten Dschungelgebieten. Für die erlittenen Verluste und Verwundungen rächen sich die Soldaten mit Strafexpeditionen und grotesk anmutenden Razzien. So wurden am Mittwoch, den 4.Juli alle tamilischen Bewohner Trincomalees von zirka 1.500 Regierungssoldaten im Cricket-Stadion der Küstenstadt zusammengetrieben. Einer nach dem anderen mußten sie dann durch ein Zelt laufen, vorbei an vermummten Männern, die durch Signale zu verstehen gaben, wen sie für einen Guerilla oder Sympathisanten hielten. Währenddessen verwüsteten die Truppen bei ihren Durchsuchungen die Häuser der Tamilen. Am Abend waren Hunderte von Männern und Frauen aus Trincomalee verschwunden. Wer noch die Energie aufbrachte, flüchtete in Booten die Küste hinunter Richtung Süden, andere bevölkern nun die Flüchtlingslager um Trincomalee. In Batticaloa kann man in der Dämmerung die Opfer der nächtlichen Mordaktionen in der Straße liegen sehen, teilweise bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.

Nach dem Abzug der indischen Truppen im März, waren es zunächst die Tiger, die ihren Vorwürfen, die Regierung verzögere eine geplante Verfassungsreform, mit bewaffneten Angriffen auf Polizeistationen Nachdruck verliehen ungeachtet des bis dahin bestehenden Waffenstillstands. Mitte Juni wurden zudem zirka 630 Polizisten, zumeist singhalesischer Abstammung durch die LTTE verschleppt und hingerichtet. Es scheint daß die Armeeführung dieses Massaker erst hinreichend rächen mußte, bevor sie nun wieder davon spricht, das Vertauen der Zivilbevölkerung wiedergewinnen zu wollen. An die 2.000 Menschen sollen seither ums Leben gekommen sein. Der kommandierende General G.H. de Silva der Streitkräfte im Nordosten sieht, daß es keine militärische, sondern nur eine politische Lösung für den Konflikt geben kann. Das Militär sei daher bemüht, das Verhältnis zur Zivilbevölkerung zu verbessern. Verteidigungsminister Ranjan Wijeratne setzt indes auf den „totalen Endsieg“ und schließt eine Verhandlungsaufnahme aus, solange die Tiger nicht die Waffen niederlegen.

Appelliert wird an den Wehrwillen der Bevölkerung und die regierungstreuen Blätter verkünden täglich das Anwachsen des „National Defense Fund“, aus dem nicht nur Medikamente und Lebensmittel für die Soldaten, sondern auch zwei Jagdbomber und Kampfhubschrauber beschafft werden sollen. Der Kampfwille der an die 15.000 Tiger ist überraschend stark, und die Armee kann in einem reinen Guerillakrieg nicht mithalten.

Dennoch, mit militärischen Erfolgsmeldungen, wie jüngst die Befreiung der 200 Polizisten aus dem über einen Monat belagerten Fort in Jaffna, versucht die Regierung die zunehmend schlechtere Wirtschaftslage zu verschleiern. Beobachter sind sich allerdings einig, daß Sri Lanka ein Andauern des Krieges mit der Preisgabe aller Entwicklungschancen zu bezahlen hätte. Während die Verteidigungsausgaben dieses Jahr um 50 Prozent steigen, hat sich der durchschnittliche Jahresverdienst bei zirka 365 Dollar eingependelt.

Karsten Jannicke

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