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Archiv-Artikel

„Es gibt kein Gewinnerthema“

Wer nichts versprechen kann, kann nicht gut werben: Der Bremer Politologe Frank Nullmeier über die harmonischen Tendenzen und die Bedeutung des Sozialen im Bremer Bürgerschaftswahlkampf. Keine Änderung des „politischen Grundchorus“ in Sicht

FRANK NULLMEIER, 49, Leiter der Abteilung „Theorie und Verfassung des Wohlfahrtsstaates“ am Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen, war Mitglied der Rürup-Kommission und ist Autor und Herausgeber zahlreicher Monografien. FOTO: UNI BREMEN

Interview BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Nullmeier, der bisherige Bremer Wahlkampf ist… ?

Frank Nullmeier: Es ist kein besonders intensiver Wahlkampf mit klaren Positionierungen. Also: Gemäßigte Intensität. Und auch mäßig spannend.

Weil niemand etwas versprechen kann?

Ja. Zugleich ist es einfach so, dass sich in Bremen der politische Grundchorus unter keiner vorstellbaren Konstellation wesentlich verändern wird.

Die wenigen Versprechungen die man findet, stützen sich auf die Bundespolitik: Die CDU macht sich im Wahlprogramm für ein beitragsfreies drittes Kindergartenjahr stark – zu finanzieren per „Kostenübernahme des Bundes“…

Aus der Sicht einer schon lange mitregierenden Partei ist das ja vollkommen richtig: Wenn der Wirtschaftsaufschwung so weitergeht, kommt zwar ein bisschen mehr Geld in die Bremer Kassen. Aber es wird nicht eine solche Größenordnung erreichen, dass sich die fundamentalen Haushaltsprobleme lösen ließen. Das ist ein großes Problem, da noch all die Anforderungen zu finanzieren.

Einer der wenigen wahrnehmbaren Akzente des Wahlkampfs ist das Aufflammen einer bremischen Mindestlohndebatte. Dabei ist das doch – ein Bundesthema?

Aus parteistrategischer Sicht ist es schwierig, sich politisch zu profilieren, wenn man mit einer anderen Partei in einer Koalition ist. Dafür müsste man den Partner, mit dem man alles gemeinsam gemacht hat, eines Versäumnisses beschuldigen. Das führt meistens dazu, dass man sich selber mitbeschuldigt. Folglich weicht man auf ein Thema aus, das landespolitisch nicht zu behandeln ist.

Das ist ja nicht das Einzige: Die Parteien wollen von Bremen aus den Länderfinanzausgleich neu sortieren, das Steuersystem revolutionieren, Hartz IV verändern…

Ja, aber trotzdem haben wir hier keinen extrem bundespolitischen Landtagswahlkampf. Und: Auch was diese Themen angeht, gelangt hier niemand zu einer strikten Kontroverse. Der Wahlkampf bleibt insgesamt harmonisch, begibt sich auf kleine Felder der Auseinandersetzung – und gestaltet sich sonst als Personenwahlkampf.

Dort, wo Wahlwerbung einen Schwerpunkt setzt, heißt er aber Sozialpolitik: Hartz IV, Kinderarmut und -versorgung, Sozialticket… Profitiert davon die Linkspartei?

Nicht zwangsläufig. Die Bundestagswahl 2005 hat das politische Klima grundlegend verändert. Mit dieser Wahl wurde allen Parteien klar, dass eine Politik, die keine Rücksicht auf Gerechtigkeit und sozialpolitische Abfederung nimmt, keine Unterstützung findet. Das muss der Linken nicht zugute kommen.

Wieso?

Deren Strategie ist ja zu sagen: Die soziale Lage verschärft sich, und die traditionellen Parteien bieten nichts an. Wenn die bürgerliche Mitte jetzt rhetorisch nach links rückt, könnten auch Stimmen zurückwandern.

Alte Sozialdemokraten?

Ja, zum Beispiel. Weil im Moment schon die soziale Situation nicht mehr so drastisch beschrieben wird, wie noch vor einem Jahr. Das ist aber mehr eine Stimmungssache: Die soziale Lage in den Vororten mit Armut und Arbeitslosigkeit hat sich nicht grundlegend geändert.

Dass jetzt alle Parteien ihr Herz für Kinder plakatieren, läge also nicht am Todesfall Kevin, sondern entspricht dem Trend?

Beides. Der Fall ist zu einem Zeitpunkt geschehen, als die Umorientierung auf Familien- und Kinderpolitik auch auf Bundesebene schon vollzogen war. Die hat zu Forderungen geführt, die man vor ein paar Jahren noch für undenkbar gehalten hätte, etwa die Verstaatlichung der Familienpolitik auf Seiten der CDU. Daraus ist ein Konsensthema geworden und noch dazu eines, in das neues Geld befördert werden soll. Folglich bietet es sich für jede Partei an, erlaubt aber zugleich nur noch eine Unterscheidung in Nuancen. Der besonders schlimme Fall Kevin unterstützt natürlich die Überzeugung, dass dort etwas passieren muss.

Sofern die Bundesgelder fließen… Oder wären von Bremen sozialpolitische Alleingänge zu erwarten?

Nein, daran ist nicht zu denken. Die Parteien haben gesagt, hier und da bestimmte Einrichtungen erhalten zu wollen. Da sollte man hoffen, dass die Zusagen den Sprung vom Parteiprogramm in die Koalitionsvereinbarungen schaffen: In diesem Feld ist einiges gekürzt worden, und das soziale Netzwerk in Bremen ist beschädigt.

Welches Thema könnte denn ein bisschen Herzblut in den Wahlkampf bringen?

Ich fürchte, dass keiner ein Interesse an einem Themenwahlkampf hat: Auch das Thema Mindestlohn beherrscht den Wahlkampf ja keineswegs. Es kann eher sein, dass man versucht, den Personenwahlkampf zuzuspitzen.

Auch das ist in einer großen Koalition…

… schwierig, richtig schwierig.

Bliebe also ein Wahlkampf, der einen sozialen Grundbass hat, aber keine Lösungsvorschläge?

Ja: Jetzt das Sozialthema in den Vordergrund zu schieben, würde ja nur Probleme bedeuten. Was wäre es auch? Wenn man auf die einzelnen Wohnviertel eingehen würde und die Lage der Bevölkerung, hätte man keine wirklichen Hilfsmittel. Wenn man auf das Gesundheitssystem zu sprechen käme, hätte man mit eigenen Skandalen zu tun – und die schwierige Frage der Reorganisation der vier Kliniken zu klären. Es gibt kein Gewinnerthema für eine Partei.

Klingt resignativ: Hat sich Bremen aufgegeben?

Nein, das glaube ich nicht. Nur alle haben mit derselben schwierigen Situation zu tun. Und es gibt keine grundlegende Strategie, wie mit dem Kernproblem der Stadt, dem Finanzdefizit, umzugehen ist – und erst recht nicht zwei, die sich unterscheiden. Folglich kann man es auch nicht zum polarisierenden Thema machen. Mit Selbstaufgabe hat das aber nichts zu tun. Wenn jemand versuchen würde, Bremen nach Niedersachsen einzugemeinden – dann hätte man ein polarisierendes Wahlkampfthema. Da stünde aber die Bevölkerung klar auf Seiten der Eigenständigkeit.