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Archiv-Artikel

Es geht weißer als Weiß

Sakral wird‘s, und poetisch: Das Neue Museum Weserburg zeigt Arbeiten der japanischen Fotokünstlerin Miwa Yanagi

Was von der Welt übrig bleibt, ist ein Einkaufszentrum. Die Gänge sind länger, als das Auge reicht, die Geschäfte blitzen blankgewienert. Statt eines Himmels gibt es Rolltreppen nach oben. Bevölkert ist die Szenerie von jungen Frauen in strengen Kleidern, uniformierte Bedienstete, die ihre Haltung längst verloren haben: Ihr Job besteht darin, möglichst makellos und dekorativ zu warten. Und man weiß nicht recht, ist es die Warteschleife vor der Apokalypse oder das Schöpfungsbild einer neuen Zivilisation, deren Gott über Pickel und Pixel erhaben ist und demnächst auf Rolltreppen herniedergefahren kommt.

Dabei gibt es keine religiösen Motive auf dem Bild, eigentümlich sakral wird es erst durch seine Perfektion: Die junge japanische Künstlerin Miwa Yanagi hat diese Welt am Computer montiert, hat Versatzstücke aus der Wirklichkeit digital zu einem Panorama zusammengesetzt, das knapp 19 Meter breit und 1,80 Meter hoch ist. Derzeit hängt diese Arbeit namens „Midnight Awakening Dream“ im Neuen Museum Weserburg – zusammen mit weiteren Werken aus Yanagis Fotoserien „Elevator Girls“ und „My Grandmothers“, die aus der Sammlung der Deutschen Bank stammen und zuvor im Deutschen Guggenheim in Berlin mit rund 30.000 BesucherInnen einen Publikumserfolg landen konnten.

Wobei neben dem überzeugenden künstlerischen Konzept sicher auch technische Faszination eine Rolle spielt: Yanagi zitiert die keimfreie Ästhetik digital bearbeiteter Werbefotos nicht nur, sie überbietet sie. Erstaunlich, dass es also doch weißer als weiß geht, dass sich auch Hochglanz noch steigern lässt. Yanagi macht das mit einem Verfahren namens „C-Print auf Plexiglas“.

Und weil die „Elevator Girls“ im C-Print so eindrucksvoll abheben, erdet die Japanerin ihre Kunst in der Serie „My Grandmothers“: Yanagi hat junge Frauen nach ihren Lebensträumen gefragt und diese Visionen digital in einem Zukunftsbild realisiert. Sachiko beispielsweise wünschte sich, in 50 Jahren spontan wegfliegen zu können, wenn sie das Alleineleben nicht mehr aushält. Auf dem Bild zum Traum sitzt Sachiko in einem Flugzeug der Zukunft, ihr Gesicht hat Yanagi digital um 50 Jahre altern lassen.

Der Wortlaut des Traums hängt als Texttafel neben dem Bild: „Das winterliche Abendrot schien die ganze Welt allmählich zu verbrennen. Ich stieg in irgendein Flugzeug ein. Ich wollte vor der Sonne fliehen, nun bin ich aber diejenige, die sie verfolgt.“ Könnte kitschig klingen. Hyperrealistisch bebildert aber wird’s zur Poesie. Klaus Irler

bis 6. Juni in der Weserburg