: Es fährt ein Wagen ins Nirgendwo
DEMO II Tausende gehen bei den „Freiheit statt Angst“-Protesten auf die Straße. Welche Partei wirklich aufklären will, bleibt offen
AUS BERLIN MARTIN KAUL
Sie stehen schön am Rand, sind aber auch dabei, die Parteien. Die Grünen haben große Luftballons, die über der Menge schweben. „Meine Freiheit ist unanzapfbar“ steht auf ihnen.
Beim Wagen der Linkspartei sind die Luftballons kleiner. Sie schweben auch etwas tiefer. Und dann noch die Piraten. Sie haben zwar weniger Luftballons, dafür aber mehr Fahnen. Bekennende Sozialdemokraten gibt es hier nur so ein paar. Junge Liberale eher weniger.
Soll die große „Freiheit statt Angst“-Demonstration 2013 wirklich noch so knapp vor den Wahlen stattfinden? Instrumentalisiert das nicht auch? Das war einmal Streitfrage der Organisatoren, unter ihnen Campact, der Verein Digitalcourage und Amnesty International.
Am Samstagnachmittag in Berlin ergibt sich dann allerdings ein anderes Bild. Besonders emanzipiert sieht es im letzten Viertel des Demonstrationszuges aus: Da fährt ein Wagen der Antifaschistischen Linken Jugend – und ihre Sprecher machen sich gewollt darüber lustig, wie brav der versammelte Parteienblock direkt hinter ihnen mitmarschiert. „Wir können uns auf alles verlassen – nur nicht auf diese fahnenschwenkenden Möchtegernpolitiker hier hinter uns.“ Politiker und Möchtegernpolitiker reagieren souverän, mit Buhrufen und ein paar Rettungsparolen. Schöne Stimmung also, nicht zu affirmativ.
Mindestens 7.000 Menschen beteiligen sich am Samstag nach taz-Zählung an der Großdemonstration gegen Überwachung in Berlin, die Veranstalter sprechen großzügig von 20.000 TeilnehmerInnen. Berücksichtigt man die langen Kundgebungen vor und nach der Demo, dürften sie ihr Sollziel – „10.000 plus“ – erreicht haben. Unter den Demonstranten sind auch viele ältere Menschen, die dem Aufruf der Dutzenden Organisationen gefolgt sind. Ihr Hauptanliegen: Noch vor den Bundestagswahlen die Überwachungsskandale zu thematisieren, die durch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden in den letzten Wochen die Schlagzeilen beherrschten.
Es gibt einen Gast, der unter ihnen besonders gern gesehen ist: Witzfigur Ronald Pofalla. Das lustige Original, seines Zeichens Kanzleramtsminister, bemüht sich seit Wochen, die Überwachungsaffäre offiziell für beendet zu erklären. Sein pappiges Abbild ist hier in Berlin der Beender vom Dienst. „Es ist alles in Ordnung“ steht groß auf seinem Schild. Und dann ruft der Mann mit dem Pofalla-Pappgesicht immer wieder: „Ich erkläre diese Demo für beendet.“
Es gibt an diesem Samstag sogar so etwas wie eine Wahlbekundung. Kai-Uwe Steffens vom AK Vorrat steht auf der Bühne am Berliner Alexanderplatz und ruft: „Wir wollen Politiker, die diese Affäre aufklären, denen Verfassungstreue nicht immer erst vom Gericht in Karlsruhe beigebracht werden muss. Nur solche Politiker werden wir wählen“, ruft er, „Denn wir wählen: Freiheit statt Angst.“
Das war gut gesagt, aber jetzt kommt natürlich die Entscheidung: Was heißt das denn dann? Die mit den großen Luftballons? Die mit den kleinen? Oder die mit den Fahnen? Ach, Scheiße.