: Erzieher als Sub-Unternehmer?
■ Kinderdorf „Pestalozzi“ in Ohlstedt soll aufgelöst werden / Stattdessen „milieunahe“ Kleingruppen / Protest der Kids und Betreuer Von Kaija Kutter
Im Kinderdorf „Pestalozzi“ in Ohlstedt hängt der Haussegen schief. Der Leiter, Manfred Schlemm, hat seine Büroarbeit nach Hause verlagert, nicht zuletzt, weil er Angst um sein Auto hat - die Kinder haben es mit Eiern beworfen. Auch die Erzieher der Einrichtung haben kaum Kontakt zu ihrem Chef, seit Wochen kommunizieren nur noch die Anwälte von Betriebsrat und -leitung miteinander.
Die Ursache des Konflikts: Das Ohlstedter Kinderheim soll aufgelöst werden. Bis Ende des Jahres, so entschied der Trägerverein, sollen die 21 Kinder in andere Unterkünfte verteilt und die Mitarbeiter entlassen werden. Begründung: Das Kinderdorf entspreche nicht mehr den Anforderungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG).
„Die Einrichtung liegt am Rand von Hamburg“, sagt Manfred Schlemm. Die Kinder kämen aus ganz anderen Schichten als die Menschen in ihrer Umgebung. Folglich widerspreche die Anlage dem KJHG-Ziel, die Kinder möglichst in kleinen Gruppen und „milieunah“ unterzubringen, damit ihnen die Rückkehr in die Herkunftsfamilien erleichtert wird.
In der Tat ist die aus den 50er Jahren stammende Anlage sehr idyllisch gelegen. Hühner laufen über den Hof, Ökoteiche zieren den Garten, bis vor kurzem gab es hier sogar Ponys. „Wir glauben, daß es für viele Kinder sehr hilfreich ist, wenn sie Abstand von dem sie belastenden Milieu bekommen“, sagt die Erzieherin und Betriebsrätin Jutta Schulz. Wenn nun die Kinder, die zum Teil schon seit sieben Jahren dort leben, „Hals über Kopf“ umverteilt werden, sei dies „ein pädagogisches Desaster“. Auch die kleinen Heimbewohner selbst sind nicht angetan von der drohenden Schließung. Heute nachmittag wollen sie am U-Bahnhof Hoisbüttel eine Demo machen.
„Es geht mir unter die Haut, daß die Umstrukturierung mit diesen Kindern vollzogen werden muß“, sagt Manfred Schlemm. „Aber wir sind aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, es so zu machen“. Denn im Zuge der Heimreform habe sich das Abrechnungswesen der Jugendhilfe verändert. So schwebt es auch dem erst vor zwei Jahren neu eingestellten Heimleiter vor, künftig Chef eines Dienstleistungsunternehmens zu sein, das Erzieher als „Subunternehmer“ anstellt. Demnach sollen je ein Erwachsener mit drei oder zwei Erwachsene mit fünf Kindern in „Lebensgemeinschaften“ zusammenwohnen. Die Betreuer haben weder Gehalt noch geregelte Arbeitszeiten, sondern bekommen einen festgelegten Pflegesatz pro Kind, mit dem sie eigenständig wirtschaften.
Dieses marktwirtschaftlich anmutende Prinzip haben andere Trägervereine schon vor Jahren eingeführt und hat für Manfred Schlemm einen bestechenden Vorteil: „Man lebt miteinander. Es gibt keine Arbeitszeit“. Die durch den Schichtwechsel im Heimbetrieb enstehende „Diskontinuität“ entfalle. Und für den Betreuer, von dem mehr Einsatz abverlangt wird, komme unterm Strich auch ein höherer „monetärer Verdienst“ dabei heraus. Die Nachfrage nach solchen Arbeitsplätzen sei gegeben, sagt Schlemm. Auf eine Stellenanzeige hätten sich 40 Bewerber gemeldet.
Die alten Pestalozzi-Erzieher dagegen lehnen ein „Subunternehmerdasein“ ab. Jutta Schulz: „Auch Erzieher haben ein Recht auf Privatleben“. Um Kontinuität für die Kinder zu gewährleisten, hätten sie vorgeschlagen, im Pestalozzidorf kleinere Gruppen zu bilden und langfristig nach Wohnraum in der Stadt Ausschau zu halten.
Die Pädagogin sieht aber auch eine generelle Gefahr in der Heimreform: „Wenn es nur noch kleine Wohngruppen gibt, bleibt für die Kinder, die diese Enge nicht ertragen, nichts mehr übrig“. Auch könnten sich die Betreuer die Kinder aussuchen, „manche Kinder fallen da unten durch“.
Die Erzieher fanden mit ihren Argumenten beim aufsichtsführenden Amt für Jugend kein Gehör, ein Brief an Jugendsenatorin Raab blieb unbeantwortet. Das nächste Gespräch mit der Heimleitung findet Mitte Juni per Anwalt statt.
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