: Erzähler II: Komet auf den Kopf
■ Radek Knapp las in der Heinrich-Heine-Buchhandlung
Geschichtenerzähler, die ihr Publikum nicht schon nach dem zweiten Satz langweilen, sind rar. Im deutschen Bücherdschungel tummeln sich zahlreiche Literaten, die, gäbe es den Buchdruck noch nicht, von ihren Zuhörern gesteinigt würden. Spannend wie Gesetzestexte, mit der Dramaturgie eines Telefonbuches wird dem Leser seine Zeit gestohlen. Radek Knapp ist der Lichtblick im Druckerschwärzen- Dickicht. Er entschädigt für die verlorenen Stunden, in denen man sich zwingen mußte, über der nächsten Zeile irgendeines Gähn-Werkes nicht einzuschlafen.
Leger in Jeans und blauem Pullover las er in der Heinrich-Heine- Buchhandlung aus seinem Debütband Franio. Außerdem erzählte er aus seinem Leben. Nur durch Zufall begann Knapp, auf deutsch zu schreiben. Mit 12 Jahren ging der gebürtige Pole nach Wien, da sich seine Eltern trennten. Während er Deutsch lernte, traute er sich das erste Mal, seine Gedanken und Gefühle in der für ihn neuen Sprache niederzuschreiben.
Heute ist Knapp dreißig und erhielt den Aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt. Nicht grundlos. Er versteht es, Geschichten zu erzählen, ohne zu moralisieren oder zu langweilen. Geschichten, die seine Herkunft widerspiegeln und in einer ganz anderen Erzähltradition stehen als die deutsche Prosa. Die Figuren in seinem Erzählband haben eine für die heutige Zeit untypische Art, miteinander umzugehen. Sie unterhalten sich ausschweifender und nicht so nüchtern wie hierzulande.
Sie leben in dem Dorf Anin, das „nicht bei uns und nicht in Polen zu finden ist“, so Knapp. Nur eine Figur, der Titelheld Franio, existiert tatsächlich. Knapp beschreibt ihn als einen polnischen Forrest Gump. Ein Dummkopf, der mit mehr Glück als Verstand durch das Leben geht. Doch die Idee zu dem Buch verdankt Knapp diesem vermeintlichen Dummkopf, der – wiederum nun bestimmt nicht dumm – sagte, daß ein Buch über einen Dummkopf jeden interessiert.
Knapp läßt Franio in der Titelgeschichte einen Bäckerladen zum Lachen bringen. Er ist Analphabet und liest aus der Zeitung vor. Von einem Flugzeugunglück, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen. Sie wurden aus dem Jet geschleudert, leerten im Flug nach unten noch eine Flasche Wein, kamen ins Gespräch, stellten fest, daß sie Brüder sind, beschlossen, ihr Leben lang zusammenzubleiben, und fielen in einen See und wurden nicht mehr gefunden.
Knapp empfahl im Anschluß, die Bücher von ihm signieren zu lassen: „Ich habe auch schon einige von anderen Autoren mit Widmung, die könnten später mal etwas Wert werden.“ Mit einem so schmeichelhaften Spruch wie: „Für Michael, Dir könnte jeden Tag ein Komet auf den Kopf fallen“ garantiert.
Michael Quell
Radek Knapp: Franio; Deuticke Verlag; 158 S., 28,90 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen