Erwartete Folgen der Bahn-Privatisierung: Höhere Preise, weniger Angebot
Höhere Fahrpreise, weniger Angebote, mehr staatliche Subventionen: So können private Eigentümer an der Bahn verdienen.
BERLIN dpa/rtr/taz Nach einer langen Nachtsitzung hat sich die SPD im Streit um die Bahnrefrom nun doch endlich auf einen Kompromiss geeinigt. "Alles klar und alles bestens", sagte Parteichef Kurt Beck, als er nach fast fünf Stunden Beratung aus dem Berliner Willy-Brandt-Haus kam. "Ich bin froh, dass es einen gemeinsamen Vorschlag der Parteiführung gibt, der von den Landes- und Bezirksvorsitzenden auch so mitvertreten wird." Details nannte Beck nicht. Im Laufe des Montag will die Partei Details klären, anschließend muss das SPD-Modell für den Börsengang der Bahn mit der Union verhandelt werden. Aus deren Reihen kamen am Montag gemischte Reaktionen.
Allerdings sickerte bereits durch, dass der Staat als Eigentümer der Bahn bis zu 24,9 Prozent der Anteile - und damit deutlich weniger als die bisher genannten 49,9 Prozent - an private Investoren abgibt. Diese Regelung betrifft sowohl den gesamten Personen- als auch den Güterverkehr. Das Schienennetz und die Bahnhöre sollen wie geplant ganz in staatlicher Hand bleiben.
Demnach konnte Beck sich nicht mit seinem Vorschlag durchsetzen, den Nahverkehr von der im Rahmen eines Börsengangs geplanten Privatisierung auszunehmen. Laut einem ZDF-Bericht hatte sich Beck am Sonntagnachmittag mit seinen drei Stellvertretern und SPD-Fraktionschef Peter Struck auf den Kompromiss geeinigt und ihn anschließend mit den Landeschefs der Partei abgestimmt. Die Trennung von Netz und Betrieb ist in der großen Koalition unstrittig, Becks Vorschlag unterschiedlicher Vorgaben für den Nah- und Fernverkehr hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung jedoch bereits abgelehnt.
Doch auch die beiden stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier mussten bei dem Kompromiss zurückstecken - sie wollten im Güterverkehr um im gesamten Personalverkehr bis zu 49 Prozent privatisieren. Mit dieser Einigung soll den Bedenken der Parteilinken Rechnung getragen werden, die bei einer weitergehenden Privatisierung fürchtete, dass Investoren einen zu starken Einfluss auf die Bahn bekämen.
Der bayerische SPD-Vorsitzende Ludwig Stiegler sagte, Beck habe in der Sitzung nicht die Machtfrage stellen müssen, es sei sehr sachlich diskutiert worden. Auch die Union könne das Modell mittragen.
Die Zukunft der Bahn-Privatisierung ist damit weiter offen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere führende Unions-Politiker hatten am Sonntag das Holding-Modell befürwortet, das eine Öffnung des Fahrbetriebs und der Gütersparte für private Investoren zu 49,9 Prozent vorsah. Ob die Union einem geringeren Privatisierungsanteil zustimmt, dürfte sich erst im Laufe des Montags zeigen.
Der Bahnexperte der Union, Hans-Peter Friedrich, begrüßte jedoch Montag früh den Kompromiss der SPD-Spitze. "Über einen solchen Einstieg kann man reden", sagte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk. Dann könne man schauen, wie sich das Ganze bewähre und in einigen Jahren möglicherweise über weitere Privatisierungsschritte neu entscheiden. Dagegen kritisierte Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Dietrich Austermann (CDU) den SPD-Kompromiss: "Wenn zutrifft, dass private Investoren an der geplanten Holding nicht einmal ein Viertel der Anteile erwerben dürfen, dann kann ich nur sagen: Lieber keine Reform als dieser faule Kompromiss", sagte Austermann in Kiel. Hinsichtlich der eigentlichen Ziele der Bahnreform sei der Vorschlag ein "totes Gleis", sagte der Haushaltsexperte: "Über diesen Weg wird nicht einmal ein Drittel der für Infrastruktur dringend notwendigen zehn Milliarden Euro mobilisiert."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“