■ Erstmals schießen Nato-Flugzeuge vier serbische Bomber über bosnisch-herzegowinischem Gebiet ab: Die Zeit der folgenlosen Spiele ist endgültig vorbei
Mit dem Abschuß von vier serbischen Militärmaschinen haben die Nato und damit vor allem die USA noch einmal verdeutlicht, daß mit dem Rückzug der serbischen Artillerie um Sarajevo noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Der Abschuß der serbischen Bomber bedeutet nicht nur eine Warnung an die Adresse Karadžićs und Miloševićs. Den serbischen Truppen wird klar vor Augen geführt, daß die Zeiten der nun über drei Jahre währenden folgenlosen Spiele vorbei sind. Daß die Drohungen der internationalen Organisationen nicht mehr verpuffen, dürfte die Moral der serbischen Truppen nicht unbedingt stärken, könnte aber auch zu einem Trotzeffekt führen. Zwar verleugnen die serbischen Medien bislang den Abschuß der eigenen Maschinen – vielleicht auch, weil schon im Falle Sarajevos deutlich geworden war, daß einige der Artilleriestellungen kurz vor Ablauf des Ultimatums von serbischen Soldaten fluchtartig verlassen worden waren. Und doch ist das Argument nicht ganz von der Hand zu weisen, daß angesichts der seit Jahren währenden Propagandawelle und der serbischen Opfermythologie gerade ein Angriff die Wiederstandskräfte stärken könnte.
Wenn aber Karadžić mit der Intensivierung der Kämpfe in anderen Regionen Bosnien-Herzegowinas – mit dem Angriff auf Bihać, dem Beschuß Tuzlas, den Angriffen auf Bugojno und Novi Travnik – die Bereitschaft der Nato austesten wollte, ob sie zur Eskalation bereit sei: Jetzt hat er den Beweis.
Ob die bisherigen Erfahrungen mit der serbischen Seite, daß nämlich einer harten Haltung von seiten der internationalen Gemeinschaft taktische Rückzüge antworten, auch diesmal zutreffen werden, bleibt dennoch fraglich. Denn Karadžić dürfte es nicht entgangen sein, daß vor allem die US-amerikanische Seite schon vor dem Abschuß der serbischen Maschinen überzeugend auf dem eingeschlagenen Kurs geblieben ist. Und so verstärkt sich denn auch die Vermutung, daß mit der Stationierung von russischen Truppen in dem serbischen Stadtteil Sarajevos, Grbavica, bei den serbischen Nationalisten die Gewißheit einhergeht, der große Bruder aus Moskau könnte nicht nur im Rahmen der UNO die schützende Hand über Serbien halten.
Die auch in der deutschen Öffentlichkeit geschürte Hoffnung jedenfalls, die russische Diplomatie würde Druck auf die serbische Seite ausüben, um den Krieg zu beenden, könnte leicht enttäuscht werden. Sicherlich hat das Bemühen der USA und auch Deutschlands den Eindruck entstehen lassen, mit Drohungen gegenüber Kroatien könnte die eine, die „westliche Seite“ der Aggression in Bosnien-Herzegowina an die Leine genommen werden. Und tatsächlich verfügte Rußland über das Prestige, in Serbien in ähnlicher Weise aktiv zu werden.
Diese Kalkulation setzte allerdings eine in sich konsistente russische Außenpolitik voraus, sie setzte voraus, daß der Machtkampf in Moskau abgeschlossen ist. Die Entlassung der Putschisten aus dem Gefängnis jedoch könnte den serbischen Nationalisten als Beweis dienen, daß die sie bedingungslos unterstützenden national-konservativen und stalinistischen Kräfte die Oberhand gewonnen haben. Es ist Karadžić und Milošević durchaus zuzutrauen, daß sie den Krieg in Bosnien auch deshalb intensivieren, um ihrerseits alles Erdenkliche zu tun, die schwache Stellung des russischen Präsidenten Jelzin noch weiter zu unterhöhlen. Angesichts dieser Konstellation wäre es leichtfertig, Rußland als Ordnungsmacht auf dem Balkan aufzubauen.
Daß dies inzwischen zumindest in Washington verstanden worden ist, darauf deuten einige Zeichen. Noch wird nach außen die Fassade gewahrt, um die russischen Reformer nicht noch weiter in Bedrängnis zu bringen. Doch für die westliche Außenpolitik darf es kein Tabu mehr sein, anzunehmen, daß in Zukunft eine neue Ost-West-Konfrontation an Konturen gewinnen wird. Die rot-braunen Koalitionen vor allem in den orthodoxen Ländern, die nationalistisch-chauvinistischen Kräfte sind nämlich angesichts der ungeheuren Wirtschaftsprobleme sogar darauf angewiesen, mit dem Wiederaufleben alter Feindbilder zu einer inneren Stabilität zu gelangen, auch wenn diese nur dem „Schein“ des Nationalismus entspränge.
Jetzt jedenfalls rächt sich, daß mit einer härteren Gangart gegenüber den Nationalchauvinisten in Serbien so lange gewartet wurde. Vor einem Jahr noch hätten Milošević und Karadžić nicht die russische Karte spielen können. Der drohenden Eskalation und der Internationalisierung des Krieges in Bosnien- Herzegowina aber kann am besten entgegengewirkt werden, wenn das westliche Lager zu einheitlichem Handeln bereit ist. Ein erneutes Zurückweichen würde nämlich nur jenen Auftrieb geben, die lange erfolgreich dabei waren, die westliche Position zu spalten. Erich Rathfelder, Split
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