piwik no script img

■ Erster privater Häftlings-Eskortendienst in EnglandFröhliche Knackis: Feile im Kuchen out

London (taz) – Der Polizeichef von Mansfield im mittelenglischen Nottinghamshire hatte die undankbare Aufgabe, die Pleite vor der feixenden Öffentlichkeit zu bestätigen. „Die Sache ist, um ehrlich zu sein... enttäuschend“, brachte er schließlich gepreßt heraus und gab zu, daß er sich die Freilassung des Häftlings Stephen Binch auch anders vorgestellt hatte. Der war soeben von niemand anderem als den Sicherheitskräften höchstpersönlich statt zurück in seine Zelle in die Freiheit geleitet worden. Die WächterInnen hatten nur mitbekommen, daß der wegen Diebstahls angeklagte Binch im vorausgegangenen Gerichtsverfahren für unschuldig befunden worden war, nicht jedoch, daß noch andere Delikte anhängig sind. Doch daraus wurde dann nichts.

Seit vor kurzem die Privatisierung des Gefangenen-Transportdienstes in England an einem ersten Exempel praktiziert wird, erübrigt sich das Einschmuggeln kuchenumhüllter Feilen in Gefängniszellen. Die vorzeitige Befreiung der Gefangenen besorgt – viel sicherer – der erste private Eskortendienst, den der Staat für die kommenden fünf Jahre unter millionenschweren Vertrag genommen hat. „Group 4“ heißt das in die Schlagzeilen geratene Unternehmen. Erste Bilanz: Fünf entwischte Häftlinge in den ersten vier Tagen. Während manche, wie der mutmaßliche Dieb in Mansfield, sich frühzeitig aus dem Gerichtssaal verabschieden konnten, ließen die Eskorten andere Häftlinge erst gar nicht so weit kommen. Empörung in der Bevölkerung rief etwa die geglückte Flucht eines als extrem gefährlich eingestuften Sexualmörders hervor, dem es während eines Group-4-Transports problemlos gelungen war, aus dem Fenster des Gefängnis-Mobils zu klettern. Die Firma erklärte das Fiasko mit „Designfehlern der Fahrzeuge“, die sie aber sofort zu beseiten versprach.

Während die Group-4-Direktoren die Pleitenkette als „unglückliche Startprobleme“ abtun, sprechen Polizei- und JustizbeamtInnen von einem Skandal. Viele von ihnen fühlen sich nun in der Auffassung bestätigt, der Transport Gefangener müsse auch weiterhin staatliche Aufgabe bleiben. Das Innenministerium hingegen läßt sich von den Zwischenfällen nicht beeindrucken. In den kommenden Monaten, so bestätigte ein Sprecher, werde man entsprechende Unternehmen ermuntern, sich für einen besonders dicken Brocken zu bewerben: die Beförderung von Häftlingen innerhalb Londons. Die britische Hauptstadt, in deren Gefängnissen auch etliche SchwerstverbrecherInnen ihre Freiheitsstrafen absitzen, hat die höchste Gefangenendichte im ganzen Land. Rund 200.000 Knackis werden jährlich durch Londons Straßen zu Gerichten, Behörden oder anderen Einrichtungen gefahren. Diesen Transport in private Hände zu geben, wertete der Vorsitzende des Polizeiverbandes von England und Wales, Alan Eastwood, gegenüber der Sunday Times als „reinen Wahnsinn“. Sollte ein Gefangenen-Beförderungsunternehmen in London ebenso effektiv arbeiten wie Group 4 in den Midlands, rechnete ein Kollege vor, müsse man in der Hauptstadt künftig mit jährlich 350 Flüchtigen rechnen.

Tatsächlich hat Group 4 bereits sein Interesse am lukrativen Auftrag in London bekundet. Während sich Hunderte von Häftlingen diesen Augenblick schon herbeisehnen mögen, wäre es einem anderen wohl lieber gewesen, den Skandal hinter Schloß und Riegel zu halten: Sir Norman Fowler, Vorsitzender der englischen Konservativen. Wie jetzt nämlich ans Licht der Öffentlichkeit kam, bekleidet der Tory- Chef einen Direktorposten bei Group 4. Etliche Parteifreunde würden ihm nun am liebsten Handschellen anlegen. Antje Passenheim

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen