: Erste Albaner reisen nach Prag
■ Die in die Prager Botschaft geflüchteten Albaner haben Pässe erhalten / Tausende warten in der Umgebung auf eine Möglichkeit, in das von der Polizei abgeriegelte Botschaftsviertel vorzudringen
Wien (ap) - Nach tagelangem Warten und Bangen ist am Montag noch für denselben Tag die Ausreise der ersten von mehr als 5.000 Flüchtlingen in Botschaften Tiranas angekündigt worden. Die CSFR-Nachrichtenagentur 'ctk‘ meldete unter Berufung auf den stellvertretenden Außenminister Vojtech Wagner, 51 Albaner aus der tschechoslowakischen Botschaft würden gestern abend mit einer Sondermaschine in Prag eintreffen. Ihnen seien von den albanischen Behörden bereits Pässe ausgestellt worden. In den anderen Botschaften, darunter in der mit etwa 3.000 Flüchtlingen völlig überfüllten Bonner Vertretung, dauerte das Warten unterdessen an.
Bonn war weiterhin bemüht, den Flüchtlingen in der deutschen Botschaft in Tirana so rasch wie möglich ebenfalls zu Reisepässen zu verhelfen. Die Formulare seien verteilt, bestätigte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Schwierigkeiten ergäben sich jedoch dadurch, daß viele Flüchtlinge weder lesen noch schreiben könnten. Die Bundesregierung will ebenso wie die anderen Botschaften der EG-Länder in Tirana erreichen, daß die albanischen Staatsbürger mit Pässen bald in „ein Land ihrer eigenen Wahl“ ausreisen können. Gleichzeitig erinnerte er an die von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher am Wochenende erklärte Bereitschaft, Albaner auch in die Bundesrepublik einreisen zu lassen. Ob die Albaner in der BRD-Botschaft auch in die Bundesrepublik reisen wollen, ist unbekannt.
Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, Staffan di Mistura, setzte am Montag seine Vermittlungsbemühungen um eine Lösung des Flüchtlingsproblems vor Ort fort. Der schwedische Diplomat war von UNO-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar nach Tirana entsandt worden, um sich über die Lage der Flüchtlinge in den Botschaften zu informieren und der albanischen Regierung Lösungsvorschläge zu machen.
Einige tausend Soldaten und Polizisten riegelten am Montag das Botschaftsviertel in Tirana weiterhin ab. Die Lage in der deutschen Botschaft wurde nach wie vor als menschenunwürdig beschrieben. Die Versorgung war äußerst schwierig. Offen blieb, ob mit der Ausreise das Flüchtlingsproblem tatsächlich gelöst würde. Die jugoslawische Zeitung 'Vecernje novosti‘ berichtete, daß noch Tausende Albaner auf die Möglichkeit der Flucht in die Missionen warteten. Sie sollen sich in den Wäldern und Parks rund um Tirana aufhalten und auf eine Möglichkeit warten, in die Stadt zu kommen. Die Hauptstadt Albaniens ist fast völlig abgeriegelt.
Die albanische Führung warf den ausländischen Botschaften erneut vor, die Flüchtlinge als „Druckmittel“ zu benutzen. Der stellvertretende Außenminister Mohammed Kapllani bezichtigte das Ausland, mit den Ausreisewilligen eine „abnormale Situation“ schaffen zu wollen. Die diplomatischen Vertretungen hielten die Flüchtlinge fest, um „künstliche Spannung“ zu erzeugen, sagte er.
Sowohl österreichische als auch jugoslawische Zeitungen berichteten von einem Streik im größten Metallwerk Albaniens in Elbasan. Die rund 10.000 Beschäftigten hätten die Arbeit niedergelegt, um die Flüchtlinge in ihren Forderungen zu unterstützen. Österreichische Zeitungen meldeten, in Tirana werde die Ausrufung des Ausnahmezustandes erwartet.
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