Erotische Faszinationen: "Man war richtig stolz auf seinen Körper"
Stephen Spenders Roman "Der Tempel" spielt im schwulen Hamburg der 1920er Jahre. Joachim Bartholomae vom Männerschwarm-Verlag sagt, warum er das Buch neu herausgebracht hat
taz: Herr Bartholomae, was macht Stephen Spenders Roman „Der Tempel“ so interessant?
Joachim Bartholomae: „Der Tempel“ ist ein Geschichtsbuch mit vielen interessanten Beobachtungen, die man von deutschen Autoren sonst nicht so bekommt. Für uns steht Weimar für das Scheitern des Staates und die Entstehung des Nationalsozialismus. Insofern ist es interessant, was ausländische Reisende damals über Deutschland gesagt haben. Das Buch ist aus einer schwulen Perspektive heraus geschrieben. Diese Perspektive bekommt ganz eigene Dinge in den Blick.
Welche Dinge sind dies?
In Hamburg geht es bei Spender vor allem um Sonne und schöne Körper. Ein prägender Eindruck ist für ihn die deutsche Jugend- und Wandervogelbewegung. In England tat man zu dieser Zeit noch alles, um seinen Körper quasi unsichtbar zu machen und zu vergessen. In Hamburg war genau das Gegenteil der Fall, man war richtig stolz auf seinen Körper und ging in jeder Hinsicht unbefangen damit um.
55, studierte Soziologie in Bielefeld und kam 1985 nach Hamburg zum Buchladen Männerschwarm. Seit 1992 ist er im Verlag Männerschwarm für Belletristik zuständig.
Wie unbefangen konnte das sein? Homosexuelle Handlungen waren gesetzlich verboten.
Im Roman kommt Christopher Isherwood …
… der schwule Schriftsteller, der damals in Berlin lebte …
… unter dem Namen Bradshaw zu Besuch und findet Hamburg zu bürgerlich, selbst das Vergnügungszentrum. Wenn Isherwood fragt: „Wo sind die Jungs?“ dann antwortet Spender: „Du musst nur mal richtig hinschauen.“ Es war also alles da, nur eben auf eine bestimmte Art so wohlanständig, dass jemand aus Berlin das schon gar nicht mehr nachvollziehen konnte.
Wie stark prägt die Gefahr des aufkommenden Nationalsozialismus die Handlung?
Spender kommt 1932 ein zweites Mal nach Hamburg, als die Macht der Nazis schon sehr viel größer ist. Das schöne, befreite Deutschland gibt es da schon nicht mehr. Am Schluss des Buches entwickelt sich der Lover von Joachim …
… dessen Vorbild der Fotograf Herbert List war …
… zum Nazi und schlägt mit einem weiteren SA-Mann dessen Wohnung zu Klump und verprügelt ihn auch. Und das einzige, was Joachim dazu einfällt, ist: Ich muss unbedingt den anderen Typen kennenlernen! Er war von diesen bösen Menschen erotisch extrem fasziniert.
Herbert List ist danach emigriert und ein sehr erfolgreicher Fotograf geworden. Was weiß man von den Schicksalen der anderen Protagonisten?
Spender kehrte nach England zurück, heiratete 1936 seine erste Frau und machte Karriere als Schriftsteller und Hochschullehrer. Ernst Stockmann, sein Gastgeber in Hamburg, wurde wie Joachim nach einer realen Figur gezeichnet, die für den Fall einer Veröffentlichung allerdings mit rechtlichen Schritten drohte – einer der Gründe, aus denen der Roman zunächst nicht gedruckt wurde. Stockmann war Jude und ist 1939 von der Gestapo verhaftet worden, allerdings als Schwuler. Er ist an den Folgen der Verhöre verstorben.
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