Erneuter Anschlag: Polizist in Nordirland erschossen
Die Continuity IRA, eine Abspaltung der IRA, bekennt sich zu der Tat. Dublin und London verurteilen Anschlag. Nordirlands Polizeichef fordert aktivere Geheimdienste.
DUBLIN taz Zwei Tage nach dem Mord an zwei britischen Soldaten ist am Montagabend ein Polizist in Nordirland erschossen worden. Der 48-jährige Stephen Paul Carroll und sein Kollege waren von einer Frau, der man eine Fensterscheibe eingeworfen hatte, in die Lismore-Wohnsiedlung in Craigavon 40 Kilometer südwestlich von Belfast gerufen worden. Als die Beamten aus ihrem Auto ausstiegen, eröffnete ein Scharfschütze das Feuer.
Für die Morde an den Soldaten ist die Real IRA verantwortlich, die sich 1997 von der IRA abgespalten hatte. Der Mord an dem Polizisten geht auf das Konto der Continuity IRA (CIRA), die sich gestern zu der Tat bekannte. "Solange es britische Einmischung in Irland gibt, werden diese Angriffe weitergehen", hieß es in dem Bekenneranruf.
Die CIRA ist eine von mehreren Abspaltungen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA). Als deren Armeerat 1986 zustimmte, dass die gewählten Abgeordneten von Sinn Féin, ihrem politischen Flügel, ihre Sitze im irischen Parlament einnehmen, gründeten Dissidenten die Partei "Republican Sinn Féin". Die CIRA, ihr bewaffneter Arm, wurde jedoch erst 1994 aktiv, nachdem die IRA einen Waffenstillstand erklärt hatte.
Von der CIRA spaltete sich 2006 wiederum Óglaigh na hÉireann ab, die "Krieger von Irland". Dieser Name wurde früher von der IRA benutzt. Darüber hinaus heißt auch die offizielle Armee der Republik Irland so. Die CIRA-Abspaltung hat vor allem wegen ihrer Strafaktionen gegen "antisoziale Elemente" Schlagzeilen gemacht. Voriges Jahr zwang sie einen jungen Mann, sich auf einen verkehrsreichen Platz in Belfast mit einem Schild zu stellen: "Ich bin ein Einbrecher und Autodieb. Ich terrorisiere Menschen in ihren Häusern", stand darauf.
Carroll ist der erste Polizist, der seit 2003 getötet worden ist. Damals wurde die Polizei reformiert, zuvor hatte sie einen neuen Namen erhalten. Aus der "Royal Ulster Constabulary" (RUC) wurde der "Police Service of Northern Ireland" (PSNI), die Krone verschwand aus dem Wappen. Ziel war es, die Polizei paritätisch mit Katholiken und Protestanten zu besetzen. Davon ist man weit entfernt, bisher stellen die Katholiken nur 21 Prozent.
Der Mord an Carroll wurde von den Regierungen in London und Dublin sowie von Vertretern sämtlicher Parteien verurteilt. Das erneute Aufflammen der Gewalt in Nordirland bringt Sinn Féin in eine missliche Lage. Als Regierungspartei muss sie die britische Armee und die Polizei verteidigen, ohne dabei die eigenen Mitglieder zu verprellen.
Sowohl die britische Armee als auch die Polizei haben im Verlauf des Konflikts eine unrühmliche Rolle gespielt. Sie kooperierten in vielen Fällen nicht nur mit protestantischen Mordkommandos, sondern mordeten auch selbst. Bisher hat es die Sinn-Féin-Führung geschafft, die Mehrheit ihrer Mitglieder beim Friedensprozess mitzuziehen. Doch je weiter sie sich von ihren einstigen Zielen entfernt hat, desto mehr Zulauf erhielten die Abspaltungen.
Selbst wenn es nicht mehr als 200 oder 300 Leute sind, so können sie dennoch beträchtlichen Schaden anrichten. Richard ORawe, früher ein hochrangiges IRA-Mitglied, sagte: "Es ist eine Menge Blödsinn darüber geredet worden, dass diese Organisationen keine Infrastruktur und keine breite Unterstützung haben. Alles, was sie brauchen, ist ein Versteck für ein paar Waffen. Dann können sie jahrelang so weitermachen."
Der nordirische Premier Peter Robinson, Nachfolger des Pfarrers Ian Paisley, sowie sein Stellvertreter, der Sinn-Féin-Vize und frühere IRA-Kommandant Martin McGuinness, mussten ihre Reise in die USA verschieben, wo sie nächsten Dienstag mit US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus den St. Patricks Day, den irischen Nationalfeiertag, verbringen wollen. Vorerst müssen sie mit der Polizei darüber beraten, wie eine erneute Gewaltspirale zu verhindern sei.
Polizeichef Hugh Orde sagte, es werde nicht wieder Soldaten auf Nordirlands Straßen geben. Aber er tritt dafür ein, dass die Geheimdienste Nordirland wieder mehr Aufmerksamkeit schenken. Die ehemalige Krisenprovinz schlägt beim britischen Geheimdienst MI5 nur noch mit 15 Prozent der Kosten zu Buche.
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