piwik no script img

ErinnerungsstückeDer alte Mann und die Platten

Wer besondere alte Singles und LPs sucht, hat in Deutschland, vielleicht in Europa, eine Anlaufstelle: Die "Plattenrille" in Hamburg im Grindelhof.

Schwelgen in Erinnerungen: In der "Plattenrille" findet man auch die Musik der 70er Jahre. Bild: Ulrike Schmidt

Gute Atmo. Ruhig. Kein Gedudel, wenn eine Schallplatte nicht flach wäre, sondern ein Raum, dann wäre sie wie die Hamburger "Plattenrille".

Wir, die wir heute so zwischen 45 und Anfang 60 sind, haben in den 70er-Jahren unsere Krautrock-Platten durch tropfendes Wachs, Rotwein, ausleihen und Tabakkrümel dezimiert. Und wer von uns ein bisschen Geld auf der Seite hat, der holt sich mit den Platten von Amon Düül, Birth Control, Tangerine Dream, Eloy, Frumpy, Grobschnitt, Guru Guru, Can, Nektar und Kraan die eigene Biographie zurück. Es zeigt sich, dass sich keiner für die Musik, die wir damals gehört haben, schämen muss, so wenig wie für das Leben, das wir geführt haben.

Auf diesen Platten kann man die Mädchen, die Eltern, die Kumpels, die Haare, die Penne, das Gras und die Pillen hören. Im Unterschied zu CDs riechen Platten nach der Vergangenheit, aus der sie stammen und es ist ein spannendes Vergnügen, die Scheiben als Erwachsener, der man heute ist, mit der Erinnerung an den Jugendlichen, der man mal war, zu hören.

Birth Control, das waren unendlich lange Stücke, mit langen Soli: Gitarre und Schlagzeug, an dem Hugo Egon Balder, 60, saß, der heute bei Sat.1 "Genial daneben" ist.

Die Platte von Birth Control mit den Pillen auf dem Cover, die suchen heute viele. Wer sie sucht, hat in Deutschland, vielleicht in Europa, eine Anlaufstelle: Die "Plattenrille" in Hamburg im Grindelhof. Gleich am Eingang, hängt ein Foto, schwarzweiß. Man erkennt Paul Löffler nicht sofort, denn der ist heute 60, und damals war er 16. Paul sollte von der Schule fliegen. Haare zu lang. Am 26. Juni 1966 waren er und ein Kumpel bei einem Konzert, da hatten viele die Haare lang. Paul und der Freund hatten sich in ein Konzert der Combo "The Beatles", die in Hamburg gastierte, geschlichen. Sie hatten es bis hinter die Bühne geschafft. Und Paul hatte John Lennon angequatscht, wegen eines Interviews für die Schülerzeitung. Die mit den langen Haaren machten die Schülerzeitung. So war das. "Wir müssen jetzt auf die Bühne", sagte John zu Paul, "danach können wir reden."

Dann kam die Security und wollte die Jungs rausschmeißen. Da schickte ein zwar noch junger, aber schon grauhaariger Mann die Security weg. Später hat Paul Löffler erfahren, dass dies Brian Epstein, der Manager der Beatles, war, der ein starkes Jahr später nach einer Überdosis Schlaftabletten nicht mehr aufwachte.

Das Interview mit John Lennon kam zustande und seitdem dreht sich Leben Paul Löfflers um Musik, die sich auf Plattentellern dreht.

Die Plattenrille gründete er 1981 und betreibt sie zusammen mit Herbert Sembritzki. Das kam so: Löffler hatte irgendwann seine Platten verkauft. "Kaum waren sie weg, begann das große Weinen, und der Versuch, sie wieder zu bekommen, erwies sich als schwierig", sagt er. Wenn er Platten der Pretty Things, als deren Vorgruppe der Drummer Löffler und seine Band mal durch Deutschland tourten, bekommen wollte, musste er auch Scheiben nehmen, die er nicht haben wollte. Die konnte er ja verkaufen. Brauchte er nur noch einen Laden.

Heute liegt der Bestand bei 250.000 LPs und 30.000 Singles. Fast alles, was nicht da ist, kann er besorgen. Löffler fliegt regelmäßig in die USA, um seltene Platten einzukaufen. "Guck mal hier", sagt er. "The Velvet Underground & Nico", von Andy Warhol produziert, 1967 erschienen. Löffler hat eine Originalpressung mit Warhols aufgeklebter Folienbanane auf dem Cover. Auch bei diesem Exemplar hat einer der Vorbesitzer an der Banane gezupft, um zu sehen was drunter ist. Sonst guter Zustand. Das Warhol-Cover hängt in allen wichtigen Galerien der Welt, die Musik ist groß.

Diese Platte hat Löffler, zusammen mit anderen, von einem Mann, der für den aufgelösten RIAS gearbeitet hat. Nicht alle, die noch ein paar Scheiben auf dem Dachboden haben, können die für gutes Geld verticken. Die Schlagerparade von 1968 ist heute so viel Wert wie damals.

Es gibt ein paar Sammler, die nach der "blauen Mauritius" der Platten suchen. Da gibt es die erste Platte von Bob Dylan, die 1962 erschien und "Bob Dylan" heißt. Er hat ein dickes Gesicht und eine merkwürdige Mütze auf. Vor dem endgültigen Erscheinen wurden Titel getauscht. Von der LP mit den nicht getauschten Songs, die eigentlich nie erschienen ist, gibt es zehn Exemplare. Die Besitzer - Dylan gehört nicht dazu - kennen sich untereinander und verkaufen nicht. Trotz Angeboten von 10.000 Dollar.

"Punkys Whips", das auf Frank Zappas "200 Motels" erscheinen sollte, fanden Radiosender in den USA obszön. Sie weigerten sich, es zu spielen, und den Rest auch. So wurde es durch ein anderes Stück ersetzt. Die 200 Motels-Version mit Punkys Whips ist ein paar hundert Euro Wert.

Löffler spürt nicht nur einen Trend zur Platte, sondern auch zu Mono. "Wir haben viele Kunden, die Mono suchen, viele Platten, die in Mono und Stereo auf den Markt kamen, sind als Mono seltener, weil damals alle die Stereoversion kauften", sagt Löffler. Da ist das "Weiße Album" der Beatles, normalerweise Stereo, in Mono nur in England erschienen, und deshalb 600 Euro wert.

Jimi Hendrix' "Electric Ladyland" wurde als Mono zurückgezogen. "Ich weiß gar nicht, ob die als Mono überhaupt in den Handel kam", sagt Löffler. Dabei springen in Stereo, etwa dem Song "Gypsy Eyes", die Töne von einem Lautsprecher zu anderen. "Diese Effekte gibt es bei Mono nicht, auf der Monopressung ist viel mehr Druck, die ist direkter und entspricht mehr dem Hören beim Konzert. Auf der Bühne hatte Hendrix nur zwei Verstärkern für zwei Instrumente und die Drums. Und die waren eben nicht Stereo!", sagt Löffler. Genau das suchen die Sammler.

Neuauflagen älterer Platten, ob von den Black Eyed Peas oder Joni Mitchell, werden wieder als Platten veröffentlicht, nicht als CDs. Fast alles, was im Moment als CD erscheint, etwa "Aint No Grave" von Johnny Cash, kommt auch in Vinyl auf den Markt.

Löffler beobachtet, dass einige der heute 17-Jährigen die Musik ihrer Eltern hip findet: James Brown, Pink Floyd, die Rolling Stones. "Die Kids hören die Sampler in den Clubs und fragen nach dem Original. Die DJs bringen in ihren Köfferchen Singles, die sie auflegen, das eröffnet den Zugang", sagt Löffler.

Beim Stöbern in der "Plattenrille" finde ich Platten von "Anyones Daughter", bei denen Matthias Ulmer aus meiner Parallelklasse mit spielte. Löffler hat alle Platten, die Ulmer und seine Kumpels eingespielt haben, im Kopf. In Löfflers Birne ist alles, was wir über die Rockmusik zwischen 1950 und heute wissen, drin. Wenn man in die "Plattenrille" geht, begegnet man sich selbst, oder genauer: dem, was man von sich selbst vergessen hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • Herr Löffler und Herr Sembritzki (frühere Inhaber der Plattenrille Hamburg) haben Menschen und Kunden gehaßt. Genauso wenig Ahnung hatten sie von Musik. Jemand, der Musik versteht, wir den Unterschied zwischen Mono und Stereo in den 60ern anders beschreiben. Die Industrie wollte Stereo Ende der 60er verkaufen, obwohl die meisten Aufnahmen im Studio noch gar nicht dafür entwickelt waren. Man hat z. B. einfach vier Mono-Spuren auf zwei Kanäle verteilt, um vermeintliches Stereo zu erzeugen. Für viele Musikliebhaber war und ist das unmusikalischer Schwachsinn. Hauptsache Geld für die Industrie. Die TAZ sollte das eigentlich durchschauen.