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Aus der zeozwei

Erinnerungen an einen Mentor Der Beobachter

Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth wäre nicht da, wo er ist, wenn es nicht den Arzt Klingler gegeben hätte.

„Vögel beobachten, das war ein schräges Hobby.” Bild: dpa

Ich hatte keine Lust mehr, mit meinen Eltern auf den Watzmann zu laufen. Immer in den Sommerferien fuhren wir in die Berge. Mit 16 wollte ich nicht mehr mit. Aber ich hatte kein Geld. Also habe ich der Vogelwarte in Helgoland einen Brief geschickt und gefragt: Kann ich helfen? Ich konnte. Sie haben mir Reise und Unterkunft bezahlt. Da gab es ein Projekt: Möwen sollten auf Teerreste im Magen untersucht werden, wegen der großen Ölbelastung in der Nordsee. Am Wasser rumzulaufen, die Möwen einzufangen, in der Hand zu halten, sie ins Labor zu bringen – für mich waren das Abenteuer, Wissenschaft, Ferien. Zollfreien Baileys gab es auch. Das war toll.

Vögel beobachten, das war ein schräges Hobby. Aber es war eins, seit ich zehn war. Da hatte ich die Abenteuerromane von Enid Blyton gelesen. Jack suchte darin den ausgestorbenen Riesenalk. Das wollte ich auch. So schenkte mir meine Tante ein Vogelbestimmungsbuch, von meinen Eltern bekam ich ein Fernglas. Und ich schrieb an den Bürgermeister von Rheinhausen, dass ich ein „junger Ornithologe bin mit zehn Jahren, der eine adäquate Beschäftigung” suche. Die hat mir der Bürgermeister gegeben: Ich reinigte im Herbst die Nistkästen im Volkspark, nummerierte sie und stellte im Jahr drauf fest, welche Vögel wo brüteten. Damit kam ich sogar in die Zeitungen. So hielten mich alle für einen Vogelschützer. Und wirklich, ich habe mich auch dafür interessiert.

Irgendwann waren die Sommerferien und Helgoland vorbei. Am Ende habe ich gefragt, was ich an Land tun kann. Sie sagten: Deutscher Bund für Vogelschutz, DBV. Also rief ich beim Kreisverband an, bei Dr. Hermann Klingler. Ich sagte: „Ich wollte mich mal erkundigen, wie man sich engagieren kann.” Er meinte, das ergebe sich gerade gut, am nächsten Tag sei ein Vortrag. – „Ich hole Dich ab.”

Tags drauf fuhr ein Mann in einem großen, flachen, geilen US-Straßenkreuzer bei uns zu Hause vor. Wir hörten den Vortrag, standen mit Leuten zusammen, die über Bäume redeten, sich supergut auskannten. Auf dem Weg nach Hause fragte mich Klingler aus: Schule, Eltern, sowas. Dann stieg ich aus und er sagte mit tiefer, sonorer Stimme: „Junge, mit dir habe ich noch viel vor.”

Wenige Tage später schrieb er an den DBV-Bundesverband, dass er einen „außerordentlich befähigten Gymnasiasten” kenne, der zur nächsten Fortbildung mit müsse. Er sparte nicht mit Übertreibung, wenn er jemanden ins Herz geschlossen hatte. Er nahm mich überall mit hin, sagte: Da ist „ein Nachwuchstalent”. Und er brachte mich in Funktionen. Ich wurde Vorsitzender der DBV-Jugend am Niederrhein, gründete den Stadtverband Duisburg. Bei der Wahl zum stellvertretenden DBV-Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen stand Klingler, der etwas Autoritäres hatte, auf und sagte: „Ich schlage Jochen Flasbarth vor.” Ich wurde gewählt. Alleine hätte ich das nicht geschafft. Die Leute hätten gesagt, der soll sich erstmal seine Meriten verdienen. Klingler und ich bauten ein enges Verhältnis auf. Er lud mich zu sich nach Hause ein, Villengegend in Moers. Ich wohnte mit meinen drei Geschwistern in einer ordentlichen, aber auch nicht großzügigen Mietwohnung in Duisburg-Rheinhausen. Wir Kinder hatten nicht einmal jeder ein eigenes Zimmer. Bei Klinglers gab es drei Wohnzimmer, ein Schwimmbad und einen parkartigen Garten.

Was uns einte? Er hatte, wie ich, Spaß daran, diesen verkrusteten DBV-Laden aufzumischen. Und er war immer da, erst recht, wenn es Ärger gab.

Es war Anfang der Achtzigerjahre. Wir Jüngeren wollten kritisch sein, politisch und nicht nur Vögel beobachten und uns um Teiche kümmern. Es war in dem Verband allerdings nicht einmal opportun, gegen Atomkraft zu sein. Aber wir wurden immer stärker, machten 1982 den ersten Bundesjugendkongress, 1983 wurde ich Bundesjugendsprecher. Wir schrieben Resolutionen gegen die Nachrüstung, zur Außen- und Friedenspolitik, protestierten gegen Ölbohrungen des Texaco-Konzerns im Wattenmeer. Dann krachte es.

Claus König, der damals DBV-Präsident war, warnte im Mitgliedermagazin Wir und die Vögel vor einem „Staat im Staate”. Er rief eine außerordentliche Versammlung ein. Ich sollte aus dem Verband fliegen. Aber Klingler hielt noch einmal seine Hand über mich, schaltete sogar Anwälte ein. Der Grund: Der DBV wollte dem Jugendverband keinen Geschäftsführer zugestehen. König und sein Geschäftsführer verhedderten sich allerdings in ihrer Argumentation. Also schickte ich König einen Brief und dessen Kopie auch an viele andere. Ich endete: „Eins steht jedenfalls mal fest, einer der beiden lügt. Und ich wundere mich, dass ein altehrenhafter Verband sich Lügner an der Spitze des Verbandes leistet.”

Klingler redete. Zum Beispiel mit Professor Berndt Heydemann von der Universität Kiel. Der galt als einer der neuen Ökologen und sollte in wenigen Wochen DBV-Präsident werden. Ich weiß nicht, was sie geredet haben, aber Heydemann erklärte, er trete nicht an, wenn die Jugend nicht besser eingebunden und mein Ausschluss gestoppt werde. Heydemann wollte den DBV umbauen zu einem Umweltverband. Er war damit zu früh, blieb nicht einmal ein Jahr im Amt. 1990 wurde der DBV dann aber doch umbenannt – und der NABU entstand.

Mit 29 wurde ich NABU-Präsident. Auch das hat Klingler promotet. Natürlich hatte ich da bereits meine eigenen Kreise. Die alte Garde trat ab, es kam eine ganz neue Generation, die sich gegenseitig bestärkte. Darunter: Markus Rösler, heute grüner Abgeordneter in Baden-Württemberg, oder Stefan Mörsdorf, der später Umweltminister im Saarland war. Klingler habe ich in das NABU-Ehrenpräsidium geholt. Ich wollte ihn in der Nähe haben, auch weil ich dachte, so eine starke Person darf nicht außerhalb der Strukturen agieren.

Ich war am Bahnhof in Bonn, als ich den Anruf bekam, Hermann Klingler sei gestorben. Er war ein starker Raucher, lebte nicht gesund. Aber es war trotzdem ein Schock für mich. Ich dachte, ich muss sofort im Namen des NABU eine Beileidsbekundung in die Zeitung setzen. Ich kam nicht darauf, dass ich das erstmal mit seiner Familie besprechen sollte. So wusste ich nicht, dass sie den Tod zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt geben wollten. Es war ein Desaster. Das bedauere ich sehr.

Protokoll: Hanna Gersmann

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