: Erfahrungswelt „Computer“ – kalt und steril
■ betr.: „Mit Maus, Monitor und Malprogramm. Computertraining für Vorschulkinder“ von Sabine Kohlstadt, taz vom 12.3. 98
Die Behauptung des Geschäftsführers Kramer, daß „allein wer mit dem Medium umgehen könne, die notwendige kritische Medienkompetenz entwickle“, entspricht ungefähr der Aussage, daß derjenige medienkompetent in bezug aufs Fernsehen ist, der TV-Fernbedienung und Videorecorder bedienen kann. Ein Fernsehsüchtiger wäre in diesem Sinne medienkompetent.
Und daß gerade die „Computerschulung“ dafür sorgen soll, daß die „mystisch-anziehende Wirkung“ des Gerätes verlorengehen soll, scheint wohl eher ein Wunschtraum. Die im Artikel beschriebenen, von der Computerschule praktizierten Anwendungsschulungen (die Kinder lernen den Umgang mit bestimmter Software) vermögen das zumindest nicht zu leisten.
Medienkompetenz entsteht durch das Wissen um den Unterschied zwischen Medium und Realität. Die Funktionsprinzipien des Mediums sollten schon bekannt sein, um die vermittelte „Information“ sinnvoll einordnen zu können. Dem Benutzer muß bewußt sein, was verlorengeht, wenn er sich Wissen von einer Maschine vermitteln läßt anstatt von einem lebenden Menschen. Dieses bereits Vorschulkindern beizubringen, dürfte ein schwieriges Unterfangen sein.
Der von Ihnen zitierte Dieter Baake behauptet, daß es „Unsinn“ sei zu sagen, daß der Umgang mit Computern der Phantasie abträglich sei. Gut, ich behaupte das Gegenteil und illustriere das an dem im Artikel beschriebenen Beispiel: Wie eingeschränkt sind doch die gestalterischen Möglichkeiten in einem Malprogramm im Vergleich zu Tusche, Fingerfarben und Buntstiften! Die von den Kinder „gemalten“ Bilder sehen sich deswegen alle sehr ähnlich, weil ein Computerprogramm dem Nutzer nur bestimmte programmierte Möglichkeiten einräumt: Ich kann die Zeichenfläche nicht falten, nicht anfassen!, nicht zerschneiden und danach noch weiterbearbeiten, keine Tusch-Falt-Bilder erstellen usw. Schöpferische Einfälle werden reduziert auf wenige, vorgegebene „Funktionen“, an die der Benutzer sich gefälligst anzupassen hat.
Dies sind prinzipielle Probleme des Computers. Das Individuelle seiner Ausdrucksmöglichkeiten jedes Kinder geht so leicht unter. Und welch ein Unterschied, ob ich beim Malen wirklich in Kontakt bin mit den Farben, die Hände bis zu den Handgelenken in die Farbe eintunken kann, im Vergleich zum abstrakten Herumklicken vor einer flimmernden Mattscheibe! Die „Erfahrungswelt“ Computer bleibt kalt und steril, wie großartig die benutzte Software auch immer sein mag.
Wenn Raulf behauptet, daß „Computerkompetenz“ die drittwichtigste Fähigkeit nach Lesen und Schreiben sei, hat er vielleicht vergessen, daß die Schulen nicht dazu da sind, unsere Kinder auf Verwertungsinteressen der Industrie hin zurechtzustutzen, sondern... Ja, war da nicht noch etwas anderes?
Ob ich ein Kind vor den Fernseher abschiebe, um als Eltern Ruhe zu haben, oder vor eine Mattscheibe mit Tastatur und Maus, macht qualitativ wohl kaum einen Unterschied. Mein Sohn jedenfalls bekommt keinen Computer und keine Computerschule. Jens Dittrich, Informatiker,
Marburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen