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Entscheidung schon gefallen?

■ betr.: DDR - Deutschlands Mezzogiorno?

DDR - Deutschlands Mezzogiorno?

Was geschieht, wenn man zwei ungleiche Wirtschaftsräume zu realitätsfernen Bedingungen zusammenschließt? Wer das heute mit mehr nationalem Elan als wirtschaftlichem Sachverstand anstrebt, kann sich die Antwort an einem Beispiel 1.000 Kilometer weiter südlich ansehen: am Mezzogiorno, dem verarmten Süden Italiens.

Daß ein Wechselkurs von 1:1 zwischen West- und Ostmark heute nicht den wirtschaftlichen Realitäten entspricht, wird wohl niemand bestreiten. Das heißt aber konkret, daß die lokalen Unternehmen entweder die Löhne senken oder ihre Arbeit einstellen müssen. Die Folge davon ist, daß eine Gesellschaft ihre gesamte wirtschaftliche Basis verliert und fast vollständig vom Staat abhängig wird.

Genau das ist im Mezzogiorno geschehen: Es gibt (abgesehen von der Landwirtschaft) nur sehr wenig international konkurrenzfähige Betriebe, es fehlt die ganze Lebenseinstellung, die für eine moderne Wirtschaft und Gesellschaft notwendig wäre, dafür stürzen sich alle auf (schlecht bezahlte) öffentliche Stellen, in denen dann vielfach wieder schlecht gearbeitet wird, und wem dieser direkte Zugang zum Staatsgeld versagt bleibt, der sucht ihn auf Umwegen - über Renten, Subventionen und Staatsaufträge oder im aufgeblähten Dienstleistungssektor.

Die Deutschen, die heute vor der Entscheidung stehen, sollten sich überlegen, ob sie das wollen. Wäre es nicht besser, wenn sich die DDR zuerst als eigener Staat reformiert und man erst nach einigen Jahren auf realistischen Grundlagen und im europäischen Rahmen über die Einigung spricht?

Die Lösung der Bundesbank - Einigung heute, aber zu einem realistischeren Kurs - ist wirtschaftlich die zweitbeste Lösung, weil eine zu rasche Angleichung der Löhne wohl unvermeidlich ist und daher die lokale Wirtschaft ebenfalls in eine Krise geraten muß.

Die Alternative heißt: entweder frei und vorläufig arm oder abhängig und für immer arm. Ist die Entscheidung für die zweite Alternative schon gefallen?

Paul Marsoner, Bozen

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