Entscheidung für die Eisenbahnmarkthalle: Handeln mit der Markthalle

Supermarkt oder Basar mit kleinen Läden? Für die Halle in der Kreuzberger Eisenbahnstraße gibt es mehrere Konzepte. Heute soll die Entscheidung fallen.

Was soll aus ihr nur werden? Die Markthalle in der Eisenbahnstraße in Kreuzberg Bild: archiv

Seit Jahren rottet die Eisenbahnmarkthalle in Kreuzberg vor sich hin. Beeindrucken an der Außenseite des denkmalgeschützten Backsteingebäudes die vielen Ornamente, fällt im Inneren vor allem ihre Trostlosigkeit auf: Es gibt die Discounter Aldi, Kik und Drospa, die meisten anderen Läden stehen leer. Ein Blick zur Decke des Gebäudes lässt erahnen, wie eindrucksvoll die mehr als 4.000 Quadratmeter große Markthalle einmal gewirkt haben muss: Über den verzierten Metallstreben wölbt sich ein monumentales Glasdach. 1.217.000 Goldmark hat der 1891 eröffnete Bau damals gekostet.

Heute macht das prunklose Ambiente diesen Eindruck zunichte. Die wenigen Läden befinden sich in eher praktischen als schönen Containern. Auf einst vorhandene kleinere Stände weisen nur noch die leeren Hüllen hin: "Feinkoststand Helin" ist auf einem der Schilder zu lesen. An Inges Kaffeestand sitzen einige plaudernde Gäste. Andere Gründe, sich hier länger aufzuhalten, gibt es nicht.

Seit 1970 ist die landeseigene Berliner Großmarkt GmbH (BGM) Eigentümerin der Markthalle. Sie hat das Gebäude 1991 restaurieren lassen. Seither ist nicht mehr viel passiert. Mit dem Schwinden der Mieter sanken die Einnahmen. Deshalb wurde bereits im Oktober 2008 der Berliner Liegenschaftsfonds mit dem Verkauf der Halle beauftragt.

Interessenten hatte die BGM für die Eisenbahnmarkthalle das Konzept eines "Orientbasars" vorgeschlagen: Kleinteilige Bewirtschaftung sollte angestrebt werden. Denn die Halle an der Eisenbahnstraße befindet sich in einem der Gebiete, die im Rahmen des von Bund, Land und EU geförderten Plans "Stadtumbau West" aufgewertet werden sollen. Teil des Plans ist die "Erhöhung der Aufenthaltsqualität".

Keines der beiden Angebote, die innerhalb der Frist bis Ende 2008 eingingen, hielt die Vorgabe "Orientbasar" ein. Das teilte der Bezirk auf eine Anfrage der Grünen mit. Dennoch wurde mit einem der Bieter verhandelt. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist ging ein weiteres Konzept bei der BGM ein. Angeblich sind beide im Gespräch. Am heutigen Freitag will die BGM eine Entscheidung fällen. Details zum Stand der Verhandlungen sind jedoch weder von ihr noch vom Liegenschaftsfonds zu erfahren. Laut Andreas Foidl, BGM-Geschäftsführer, strebt einer der Bieter großflächigen Einzelhandel an.

Weitere Discounter in der Markthalle? Damit sind die Mitglieder der vor einem Jahr gegründeten AnwohnerInneninitiative "Markthalle IX" nicht einverstanden. Auf einer Veranstaltung vor zwei Wochen forderten sie mehr Transparenz bei der Verkaufsentscheidung. Christoph Albrecht, ein Sprecher der AnwohnerInneninitiative, erzählte von seinem großen Traum. Früher sei man in der Markthalle bei jedem Schritt auf Bekannte getroffen. So wünsche er sie sich wieder. "Wann soll das denn gewesen sein? Das muss ja schon Jahrzehnte her sein", murmelte ein Zuhörer.

Von einer angestrebten "Gentrifizierung von unten" sprach Albrecht. Die AnwohnerInnen würden von einer solchen Aufwertung des Viertels profitieren, glaubt er. Deshalb unterstütze die Initiative das Projekt der Bietergemeinschaft.

Auf den ersten Blick scheint es ein Kampf zwischen oben und unten, zwischen Gut und Böse, der hier ausgefochten wird. Denn hier steht das Kaufangebot eines anonymen Investors neben dem einer Gruppe von AnwohnerInnen und Gewerbetreibenden. Sie möchten die Markthalle wie früher mit kleinen Ständen füllen. Die Rollen scheinen klar verteilt: Die Guten sind die kleinen Einzelhändler, die keine hohen Mieten zahlen können; die Bösen, das sind die Discounter, das große Kapital. Kalte Supermärkte, in denen Angestellte zu miesen Bedingungen schuften, eine Halle, in der es nur um den schnellen Einkauf geht. Das will hier keiner.

Ganz so einfach ist es aber nicht mit den Zuordnungen, das zeigte sich auf jener Informationsveranstaltung. "Für mich ist Kik ein Segen, ich kaufe dort immer meine Socken", sagte Almut Borggrefe, eine Anwohnerin, die sich schon in der Initiative MediaSpree Versenken! engagiert hat. Mit seinen niedrigen Preisen decke der Kleidungsdiscounter einen bestehenden Bedarf. Sie wünscht sich daher für die Markthalle ein gemischtes Konzept, in dem Einzelhändler und Supermärkte Platz finden. Anreize, um Kunden hierher zu locken, gibt es ihrer Meinung nach genug. "Zum Weltrestaurant und zum Privatklub kommen auch Leute aus Prenzlauer Berg", sagte sie. "Wenn die Markthalle nicht so heruntergekommen wäre, könnte sie zu einem Anlaufpunkt im Kiez werden." Doch warum ist die Halle überhaupt in einem derart desolaten Zustand? Almut Borggrefe ist überzeugt, dass die BGM schon lange nicht mehr an einer Vermietung interessiert sei. Standbetreiber seien durch erhöhte Mieten gezielt verdrängt worden.

Nicolas Driessen ist eine der fünf Personen, die als Bietergemeinschaft in die Markthalle investieren wollen. Sie haben sich Bernd Meier und Florian Niedermeyer angeschlossen. Den beiden Inhabern eines Feinkostladens am Kollwitzplatz schwebt ein hochwertiger Lebensmittelmarkt vor, Gastronomie und Händler aus dem Umland sollen angesiedelt werden. Dazu soll es Raum für kulturelle Projekte geben, etwa Bandproberäume im Keller. Meier und Niedermeyer konnten anfangs wenig mehr als diese Idee vorweisen. Inzwischen konnten sie ein Kaufangebot machen - das mit 1 Million Euro aber wohl weit unter dem Konkurrenzangebot liegt. Der soll 1,8 Millionen Euro geboten haben, es soll sich um eine Supermarktkette handeln, munkeln die AnwohnerInnen an jenem Abend. Belegen kann das niemand.

Doch sind ein Frischemarkt mit hochwertigen Produkten und Proberäume wirklich das, was die AnwohnerInnen brauchen? Der Inhaber eines Spätkaufs in der Wrangelstraße ist skeptisch: "Auf dem Biomarkt am Lausitzer Platz kostet eine Bulette 2,60 Euro", sagt er. "Das ist nicht sozial kompatibel." Er wünscht sich die Markthalle als "Brücke der Kulturen", die für alle offen steht. Gerade in diesem Kiez sollten Geschäfte und Kultur vertreten sein, meint er, denn "Jesus hat die Händler aus dem Tempel geworfen, weil kein Platz mehr für das Gebet war."

An Inges Kaffeestand in der Mitte der Halle sind alle Hocker besetzt. Christiane und Jürgen Wendlandt kommen jeden Tag aus Rudow hierher, wo sie einmal gewohnt haben. "Das hier ist der einzige Ort im Kiez, an dem man in Ruhe mit Freunden quatschen kann", sagen sie. "Wenn der Großinvestor die Halle bekommt, ist das weg."

Und was sagt das Gegenkonzept? "Es soll für jeden Platz sein, und Inge ist eine Institution", betont Driessen. Wie er das finanzieren will, sagt er nicht.

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