■ Entlarvt: Die Lügen der Deutschen Bahn AG: Indiskretes Speisewagenpersonal
Es ist deprimierend. Niederschmetternd. Man gibt sich solche Mühe, ist eine Art freiwilliger Botschafter. Für die gute Sache eben. Und wird so im Stich gelassen.
Als Gesinnungs-Nichtautofahrer bin ich quasi Bahn-Pflichtkunde und fahre jedes Jahr, konservativ gerechnet, locker so meine 20.000 Kilometer auf Schienen. Muß mich manches Mal ärgern, kleinere Verspätungen, Pannen, die branchentypischen Unfreundlichkeiten. Na ja, alles geschenkt.
Jedes Jahr zu Pfingsten aber bricht alles zusammen. Immer, wenn der alternative deutsche Fußballmann weithin zu seinem Meisterschaftsturnier anreist. Viele zermürbende Debatten und ausgebuffteste Argumente kostet es, die anderen Ballbeweger von der Wohllöblichkeit der Bahner zu überzeugen und sie aller Gedanken an einen Selbstbeweger zu entreißen. Gruppenreisend fabulierst du gerade von kreuzgräßlichsten Stauzuständen auf den autoimmobilen Straßen – und dann das.
In sechs Versuchen Pfingstfußballanreise hatte ich mit meinen Bahnnovizen neben regelmäßigen Verspätungstakten („...ist das jetzt der IC laut Fahrplan oder der von vor zwei Stunden?“) folgende Klasse-Erlebnisse: einen Oberleitungsschaden Höhe Horrem samt Komplettausfall der Strecke (1,3 Stunden Warten), einen Selbsttötungsfall bei Mülheim/Ruhr (2,7 Stunden), einen banalen Loktod in Höhe Wanne-Eickel (1,9 Stunden) und auch schon den zugweiten Gesamtausfall und -lauf aller Sanitäranlagen zwischen Bielefeld und Aachen (3,7 Stunden).
In dieser Pfingstsession aber war es besonders nett. Erst am Freitag der defekte Wagen 17, den wir in Höhe Diepholz herauskoppelten und allein zurückließen (1,0 Stunden). Dann übelste Rügen im Großraum Hauptbahnhof Krefeld – mit der Quintessenz, daß die geschickteste Strategie gegen eine Verspätung (1,5 Stunden) die weit verfrühte Ankunft am Gleise sein soll: „Wenn Sie nicht auf den letzten Drücker gekommen wären, hätten Sie doch vorher die Regionalbahn nehmen können.“ Das hübscheste Erlebnis aber gönnte uns bei der Rückfahrt am Pfingstsonntag der Dortmunder Hauptbahnhof. Dort ging plötzlich nichts mehr; die Lautsprecherdurchsage meldete einen „Triebschaden“. Während in aller Ruhe eine neue Lok vorgefahren und vorgekoppelt wurde, tauchte wieder einmal die Frage auf, ob die Bahn ihren Fuhrpark eigentlich wartet oder ob sie nur wartet, wann wieder was kaputtgeht.
Durch eine Indiskretion des Speisewagenpersonals (Lob!) kam die Wahrheit ans Tageslicht. Der neu eingeplante Lokführer hatte für die schöne neue feuerrote Kompaktlok unseres Intercitys keinen Führerschein. Folglich verweigerte er die Fahrt. Der ankommende Lokmann war wahrscheinlich gewerkschaftlich organisiert, hatte die gerade 70minütige Überstunden-Weiterfahrt nach Zielbahnhof Köln brüsk abgelehnt und sich gleich danach getrollt.
Der IC-Chef, wegen dreister Lüge („Triebschaden“) zur Rede gestellt, unterstellte uns „Spionage“: „Wer hat da nicht dichtgehalten?“ Und verglich: Man könne eben mit einem Mopedführerschein kein Motorrad fahren. Logo! Wir fragten: Ob man nicht Lok und Lokführer aufeinander abstimmen könne? Und: Warum man die Fahrgäste nach Köln nicht in den „am selben Bahnsteig gegenüber“ wartenden Parallel-IC hatte umsteigen lassen? Planung! Organisation! Improvisation?! Welche Fragen! Wir wissen nicht, was resp. ob der IC-Chef etwas dachte. Aber geguckt hat er, als sei aus den Rädern einer seiner Großraumwagen gerade die Luft entwichen. Wahrscheinlich erleben wir das zu Pfingsten 1998. Bernd Müllender
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