Enstchädigung für S-Bahn-Chaos: Bahn verteilt Weihnachtsgeld
Deutsche Bahn entschädigt Stammkunden für das Desaster bei der S-Bahn - und bestätigt, dass sich bis zum Herbst kaum etwas ändern wird
![](https://taz.de/picture/346149/14/sbahn1.jpg)
Nach Tagen des Mauerns hat sich die Deutsche Bahn (DB) zur Berliner S-Bahn geäußert. Die gute Nachricht zuerst: Stammkunden mit Jahres- oder Abokarten dürfen im Dezember kostenlos fahren. Das teilte Ulrich Homburg, DB-Vorstandsmitglied für den Personenverkehr, am Donnerstag mit. "Das soll ein deutliches Signal sein, dass wir die persönlichen Einschränkungen der Kunden ernst nehmen." Unbürokratisch solle die Entschädigung ablaufen, wie genau, das sei noch nicht geklärt. Dieses "Kundensofortprogramm" koste den Konzern etwa 25 Millionen Euro.
Seit zehn Tagen herrscht Chaos bei der S-Bahn, weil hunderte Züge aus Sicherheitsgründen aus dem Verkehr gezogen wurden. Kunden beklagen jedoch nicht nur, dass zu wenig Züge fahren: Sie bekommen auch keine Infos zu Verspätungen, Ausfällen oder Ersatz. Auch hier will die DB die Gemüter beruhigen und stellt bis Mitte August 45 neue Kundenbetreuer ein.
Zur Schuldfrage wollte sich Homburg nicht konkret äußern. "Fest steht: Die vom Hersteller zugesagte Haltbarkeit der Radscheiben hat sich als falsch herausgestellt", erklärte er. Der kanadische Konzern Bombardier kann dafür nicht mehr belangt werden, die Gewährleistung ist seit 2007 abgelaufen.
Die Konzernmutter Deutsche Bahn sucht nach Alternativen: Ab kommender Woche fahren zwischen Potsdam und Berlin doppelt so häufig Regionalzüge: werktags zwischen 6 und 20 Uhr alle 15 Minuten. Um den Zugverkehr zum Flughafen Schönefeld zu verbessern - die Linie S45 ist derzeit komplett gestrichen - kann der SXF1-Schnellbus zwischen Südkreuz und Terminal ohne Aufschlag genutzt werden. Er fährt zwischen 5 und 23 Uhr alle 20 Minuten.
Vielen Berlinern ist das offenbar zu wenig: Der innerstädtischen Mitfahrzentrale Citypendler zufolge haben sich die Neuanmeldungen seit Mitte der Woche verdoppelt (www.citypendler.de). Der Verkehr auf den Straßen hat sich indes kaum verstärkt. Das sagt jedenfalls die Polizei, die bisher auch nicht mehr Unfälle verzeichnet hat. Bei Carsharing-Vereinen muss man Mitglied werden - wohl eine Hemmschwelle für viele S-Bahn-Leidende. Die Eintritte hätten sich in dieser Woche nicht gehäuft, erklärt etwa der Anbieter Cambio.
Ganz neue Möglichkeiten ergeben sich, sollte die S-Bahn die Gleise ganz räumen müssen, wie bisweilen spekuliert wird. Draisinen sind seit dem 19. Jahrhundert erprobte Gefährte, ein Räderbruch ist unwahrscheinlich. Gebrauchte Draisinen sind im Internet für 2.000 Euro zu haben. Führerschein braucht man nicht, aber körperliche Grundfitness. Mit einer Schienendraisine können mindestens 10 Kilometer in der Stunde zurückgelegt werden. Wer regelmäßig übt, wird natürlich schneller, und wer ganz schnell wird, kann sich bei den Weltmeisterschaften in Finnland mit den besten Draisinenfahrern messen. PW, PEZ
Die S-Bahn muss also auf Anweisung des Eisenbahn-Bundesamtes wegen Sicherheitsmängel 4.000 Radscheiben austauschen, monatlich schaffe man maximal 250, so Homburg. "Es wird bis in den Herbst dauern, ehe der Normalzustand wiederhergestellt ist", sagte er. Das Problem seien zusätzliche Prüfungsfristen für verschiedene Züge. Derzeit seien 200 der rund 500 betroffenen Viertelzüge außer Betrieb. Die Zahl schwanke täglich.
Den Vorschlag vom Betriebsrat der S-Bahn, die vor drei Jahren geschlossenen Werkstatt Friedrichsfelde wieder zu eröffenen und so die Kapazitäten zu erhöhen, schmetterte das DB-Vorstandsmitglied ab. "Das hilft kurzfristig gar nichts, da fehlt es an der notwendigen Technik."
Die Entschädigungstaktik der DB wird von Fahrgastverbänden prinzipiell begrüßt. "Eine gut gemeinte Geste, die aber der Komplexität der Problematik nicht gerecht wird", sagte Jens Wieseke vom Fahrgastverband Igeb. Nicht berücksichtigt würden etwa hunderttausende Gelegenheitsfahrer. Zudem müsse der Ersatzverkehr mit Regionalbahnen massiv ausgeweitet und Fernzüge eingesetzt werden.
Kritiker werfen der DB vor, aufgrund des geplanten Börsengangs zu hohe Renditeziele an die Berliner S-Bahn zu stellen, was zum derzeitigen Desaster geführt habe. DB-Vorstandsmitglied Homburg widerspricht. "Mit dem angeblichen Spardruck hat die aktuelle Situation gar nichts zu tun", sagte er. Alle Planungen für die kommenden Jahre seien jetzt ohnehin Makulatur. PAUL WRUSCH
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