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■ England: Ein 13jähriger wegen Vergewaltigung vor GerichtSeltsame Verurteilungsmechanismen

London (taz) – „Wenn er schon 14 gewesen wäre, hätte man eine Haftstrafe verhängen können“, bedauerte Polizeirichterin Jane Hayward, „aber leider war er erst 13, als er vor Gericht gestellt wurde. Deshalb kann ich nicht die Strafe verhängen, die dieses Verbrechen verdient.“ Das Verbrechen, von dem die Richterin sprach, war eine Vergewaltigung. Der Jugendliche hatte die Tat im Februar in einem Park der nordenglischen Stadt Manchester an einem 14jährigen Mädchen begangen. Zwar bestritt er das vor Gericht, doch aufgrund forensischer Beweise und Aussagen von Zeugen sprachen ihn die Geschworenen vor zwei Monaten schuldig.

Am Wochenende erging nun das Urteil: Die Richterin ordnete an, daß der Jugendliche zwölf Monate überwacht wird und 45 Therapiestunden nimmt. Er ist der jüngste Angeklagte, der in Großbritannien wegen Vergewaltigung schuldig gesprochen wurde.

Bis zum vergangenen Jahr konnten Jugendliche unter 14 Jahren überhaupt nicht wegen Vergewaltigung angeklagt werden, weil man davon ausging, daß sie physisch nicht zu diesem Verbrechen fähig wären. Eine Gesetzesänderung vom September 1993 erlaubte zwar die Anklage und Verurteilung von Kindern ab zehn, aber nicht die Verhängung einer Haftstrafe – außer bei Mord oder Totschlag. Seit vergangenem Donnerstag ist das anders. An diesem Tag gab Königin Elisabeth ihr Plazet zur umstrittenen „Criminal Justice Bill“, die unter anderem Haftstrafen für Kinder ab zehn wegen Vergewaltigung, Brandstiftung und Einbruch vorsieht. Dennoch entging der 13jährige dem Gefängnis, weil die Gesetzgeber zunächst bestimmte Richtlinien für Prozeßführung und Höhe der Urteile aufstellen müssen. Die Mutter des 14jährigen Vergewaltigungsopfers hat am Sonntag abend angekündigt, daß sie den Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringen will.

Es sei lächerlich, so höhnten die Liberalen Demokraten, daß die Regierung nach den langwierigen Debatten um „Law and Order“ noch immer eine Gesetzeslücke gelassen habe, die es ermöglicht, daß der 13jährige „aus dem Gerichtssaal spazieren“ konnte. Die Labour Party hätte ihn ebenfalls gerne hinter Schloß und Riegel gesehen. Ihr innenpolitischer Sprecher, Alun Michael, sagte: „Dieser Pfusch ist typisch für eine Regierung, die Gesetzesänderungen im Eiltempo durchs Parlament schleust.“ Und auch Maureen O'Hara, die Direktorin des Rechtshilfezentrums für Kinder, setzt auf drakonische Strafen. Sie ist der Meinung, daß die Polizeirichterin sehr wohl bevollmächtigt gewesen sei, die Unterbringung des Jugendlichen in einem geschlossenen Heim anzuordnen. „Es ist schwer zu glauben“, sagte sie, „daß die Verurteilungsmechanismen für Mord nicht auf Jungen angewendet werden können, die wegen Vergewaltigung angeklagt sind.“ Es gab jedoch auch besonnene Stimmen. Frauenorganisationen und zahlreiche RechtsanwältInnen äußerten sich besorgt darüber, daß die Gefängnisse aufgrund der neuen Gesetze mit Kindern gefüllt werden. Tom Fitzpatrick, der Anwalt des 13jährigen, hält seinen Mandanten für genug gestraft: „Er ist der erste Junge unter 14, der in diesem Land wegen Vergewaltigung verurteilt wurde. Dieses Stigma wird er für den Rest seines Lebens nicht mehr los.“

Möglicherweise muß der 13jährige aber doch noch in den Knast. Als er die Vergewaltigung beging, stand er bereits wegen vier Einbruchsdelikten unter Anklage, war jedoch gegen Kaution auf freiem Fuß. Er hat die Einbrüche zwar gestanden, doch der Prozeß steht noch aus, weil zwei seiner Mitangeklagten flüchtig sind. Ralf Sotscheck

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