■ Engholm vor der größten Belastungsprobe seiner Amtszeit: Schlechte Zeiten für Pfeif(f)enraucher
Er werde die Frage eines Rücktritts im Lichte der öffentlichen Reaktion entscheiden, hatte Günter Jansen Anfang der Woche auf Fragen nach seinen Konsequenzen geantwortet. Hält er sein Wort, ist er fällig. Das Echo für den „guten Menschen aus Kiel“ ist, zu Recht, verheerend. Doch mit Jansens Rücktritt wären die Fragen nicht beantwortet, sondern nur die jetzt offizielle Version des guten Menschen erledigt. Von Engholm weiß man auch Tage später nur, daß er „stinksauer“ ist, wozu er auch allen Grund hat – fragt sich nur, ob über die „Spende“ als solche oder daß sie ruchbar wurde.
Erst jetzt rückt eine Tatsache so richtig ins öffentliche Bewußtsein, die in der damaligen Empörung leicht unterging: der frühere Parteisprecher Nilius hatte sich bereits am 16. Juli 1987, zwei Monate vor der Spiegel-Veröffentlichung über die Barschel-Machenschaften (14.9.87), mit Pfeiffer heimlich getroffen und angeblich alles für sich behalten. Um die Form zu wahren, mußte Nilius sein Amt quittieren, landete aber nach Engholms Wahlsieg im Mai 88 prompt als Referent im Vorzimmer des Ministerpräsidenten. Dies in Verbindung mit seinem späteren Job als Überbringer der 40.000 Mark Stütze an Pfeiffer lassen jeden, der versucht, Jansen und Engholm ihre Story abzunehmen, leicht in den Verdacht der Debilität geraten. Selbst für Engholm-Fans starker Tobak.
Doch wie es der Zufall so will, gibt es von denen ohnehin immer weniger. Seine Freunde vermissen an ihm den Willen zur Macht, für andere hat er sich seit Petersberg als echte Alternative zu Schäuble sowieso erledigt. In dieser für den SPD-Vorsitzenden kippeligen Situation bedeutet die Jansen-Enthüllung nicht weniger als ein Sprengsatz am Fundament seiner Karriere. Engholm verdankt seine jetzige Position vor allem seinem Image als Anti-Barschel. Wo der größte Bösewicht werkelte, muß sein Feind der größte Strahlemann sein. Dieser Ruf könnte in den nächsten Tagen nachhaltig beschädigt werden – mit ganz anderen Konsequenzen als die Enthüllungen über Lafontaines Bordellbesuche. Daß der Vorfall nicht so leicht in Vergessenheit gerät, wird die CDU in Schleswig-Holstein sich zur Herzensangelegenheit machen, kräftig unterstützt von der CDU-nahen Presse.
Obwohl es der SPD sicher überhaupt nicht in den Kram paßt, sind jetzt die Führungsgremien Präsidium und Vorstand am Zug. Wenn sie verhindern wollen, im Mega-Wahljahr 1994 mit einem politisch und persönlich ruinierten Kandidaten anzutreten, müssen sie Engholm nun zwingen, seine weiße Weste zu beweisen, oder aber sie müssen ihn ganz schnell austauschen. Je näher das Wahljahr jedoch rückt, um so schwieriger wird eine Operation „Austausch“. Jürgen Gottschlich
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