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EnergieversorgungNeue Kohlekraftwerke unnötig

Deutschland braucht laut einer Studie keine neuen fossilen Kraftwerke mehr. Allein die geplanten Gaskraftwerke reichen aus. Trotzdem wird kräftig in Kohle investiert.

Überflüssiges Streitobjekt: Kohlekraftwerke wie Datteln 4 werden laut einer Studie nicht gebraucht. Bild: dapd

BERLIN taz | Trotz des Ausstiegs aus der Atomenergie müssen laut einer neuen Studie in Deutschland keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Arrhenius-Instituts im Auftrag der Klima-Allianz. Sie setzt sich für die Energiewende ein und besteht aus über 100 gesellschaftlichen Organisationen, vom WWF über kirchliche Gruppen bis zu Verbraucherschützern. Zum ersten Mal wurde versucht, den langfristigen Bedarf an Gaskraftwerken, die als Back-up-Leistung für fluktuierende Sonnen- und Windenergie bereitstehen müssen, genauer zu beziffern.

Bis 2020 seien demnach drei Gigawatt an neuer Gaskraftwerksleistung notwendig - schon die bereits genehmigten oder in Bau befindlichen Kraftwerke reichen hierfür weitgehend aus. Drei Gigawatt entspricht ungefähr der Leistung von drei Atomreaktoren. Bis 2030 geht das Arrhenius-Institut von maximal elf Gigawatt Kraftwerksleistung aus.

Zählt man alle in Bau und in Planung befindlichen Gaskraftwerke zusammen, kommt man auf 19 Gigawatt. Die Klima-Allianz fordert daher, schon jetzt Vorsorge zu treffen, sonst würden zu viele Gaskraftwerke gebaut. Bereits 2020 will die Bundesregierung mindestens 35 Prozent erneuerbare Energien im Strommix.

"In der Studie haben wir mit sehr konservativen Zahlen gerechnet", erklärt Daniela Setton von der Klima-Allianz gegenüber der taz. "Wir gehen davon aus, dass man an vielen Stellen die Energiewende schneller vorantreiben könnte, als es in dem vorgestellten Szenario der Fall ist", sagt sie.

Vor allem Sonnen- und Windenergie sind starken Schwankungen unterworfen. Mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien rückt daher zunehmend die Frage in den Mittelpunkt, wo der Strom herkommt, wenn viel verbraucht wird und wenig Sonnen- und Windenergie bereitsteht. An kalten Winterabenden kann es zu Engpässen kommen. Gaskraftwerke gelten hierfür als idealer Ausgleich, da sie schnell an- und abgeschaltet werden können.

"Wir gehen davon aus, dass viele der Gaskraftwerke, die jetzt gebaut werden, nur wenige Tage im Jahr laufen werden", erklärt Setton. Das allerdings stellt die Rentabilität der Anlagen in Frage. Die Bundesregierung diskutiert deshalb, ein System einzuführen, nach dem Konzerne vergütet werden, wenn sie neue Kraftwerke bereitstellen - und nicht, wenn sie tatsächlich Strom produzieren.

Zurzeit befinden sich in Deutschland zehn Kohlekraftwerke in Bau. Um eines davon - Datteln 4 - rankt sich seit Jahren ein Rechtsstreit. Der letzte Neubau startete 2008 mit Block 9 in Mannheim. RWE treibt zurzeit die Planung eines weiteren Braunkohlekraftwerks im rheinischen Revier voran.

Grüne Kohlefreunde

Der Konzern stellte kürzlich einen Antrag zur Änderung des Regionalplans für einen neuen Kraftwerksblock in Niederaußem. Die Pläne könnten zum Stresstest für die Landesregierung werden - die Grünen koalieren mit der traditionell kohlefreundlichen SPD in Nordrhein-Westfalen. Grünen-Landeschef Reiner Priggen ist bereits auf den Kohle-Kurs der SPD eingeschwenkt und hat keine grundsätzlichen Bedenken gegen den Neubau - er fordert, dass RWE stattdessen Altanlagen stilllegt.

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5 Kommentare

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  • G
    Geschmeidig

    Auch für die Nutzung von erneuerbaren Energien braucht es anlagentechnik, die erst einmal produziert werden muß. Beispielsweise sind Photovoltaikanlagen in Deutschland energetisch erst nach vier Jahren rentabel. Sie müssen also erst einmal vier Jahre Strom produzieren, bevor diese die zur Fertigung reingesteckte Energie wieder herausholen. Und Fertigung bedeutet neben hohem Energieverbrauch auch Umweltverschmutzung.

     

    Kohlekraftwerke sind übrigens nach 90 Tagen energierentabel.

     

    Außerdem wäre es volkswirtschaftlicher Schwachsinn, einen vor der Tür liegenden Energierohstoff ( Braunkohle in der Lausitz, bei Leipzig und eben im rheinischen Revier)nicht zu nutzen und sich in die Abhängigkeit von Gaslieferanten zu begeben ( Gaskraftwerke produzieren übrigens ebenfalls CO2)

     

    Und es ist gut, dass alte Kohle-Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad von nur 33% ersetzt werden durch moderne Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 45%.

  • R
    Revierbürger

    Nach gleicher Logik sollten dann für 100 Mio Deutsche - selbst bei Maximalauslastung, wenn alle gleichzeitig fahren wollen, bei 5 Sitzplätzen 20 Mio Autos ausreichen.

    Warum gibt es dann in Deutschland 50 Mio Autos?

    Weil es genau wie beim Strom um zeitliche und örtliche Verfügbarkeit geht und wir uns an vielen Stellen den Luxus einfach leisten!

  • A
    ArnoAEvers

    In der Tat brauchen wir weder Kohle noch Gaskraftwerke. Die ganze Energie-Infrastruktur,

    so, wie sie sich seit den 1890er Jahren

    - nicht nur in Deutschland- entwickelt hat,

    war jahrzehntelang hoch profitabel und wurde

    dadurch auch von den Betreibern nicht infrage gestellt. Langsam kommt es so nach und nach raus,

    was für ein System "wir alle" uns da überhaupt leisten.

    Oder haelt jemand ein Kabelnetz von 1,67 MILLIONEN Kilometern Hochspannungs-Leitungs-Länge fuer sinnvoll? Das müssen wir alle allerdings schon heute zahlen.

    Und - jetzt kommt die genialste Geschäftsidee,

    die ich jemals gehört habe - und jetzt sollen wir alle auch noch die Modifizierungs- bzw. Erneuerungskosten dafür auch noch zahlen. Ein unglaublicher Vorgang. Staatlich abgesegnet.

    Na, denn man Mahlzeit! Mehr bitte hier: http://www.hydrogenambassadors.com/background/deutsches-hochspannungsnetz.php

  • I
    ilmtalkelly

    Warum planen und bauen Energieproduzenten Kraftwerke ins Blaue, gegen jede wirtschaftliche Vernunft ?

    Ich denke, die habem viele Jahre mit Persilschein zu viel vom Kunden kassiert.Es ist zum k..z.., wie staatsplanerisch dieser Unsinn kaschiert und thematisch umschifft wird.

    Netzverstaatlichung und faire Durchleitungsgebühren für alle Anbieter, dezentrale Gasverstromung und erneuerbare Energien sind der einzige Weg. Der Neubau solcher Monster ob Gas oder Kohle bremst die Energiewende. Die Netzdurchleitungsverluste sind viel zu hoch um solche Strom-Hot Spots zu unterhalten. In Deutschland bleiben auf diese Weise über 1/3 der Energie auf der Strecke.

  • F
    feder24

    Der Artikel hat einen Fehler:

     

    Er entbehrt jeglicher gesunden Logik.

    Die im Artikel genannten 9 im Bau befindlichen Kraftwerke sind ca. vor mindestens 6 Jahren geplant und nach Genehmigungen in die Bauphase gegangen. Übrigens sind die meisten Anlagen von den gleichen Umweltschützern beklagt, was zu teilweisen erheblichen Bauverzögerungen geführt hat.

    Sollen also solche langjährigen Bauprojekte jetzt gestoppt werden, weil irgendwelche Umweltschützer sich gerade eine neue Meinung gebildet haben.

    Dann soll sich diese Gruppe mal ein paar Gedanken machen, wie eine stetige Grundlast sichergestellt werden kann.

    Gaskraftwerke dafür einzusetzen, bedeutet in nochmals in voller Kapazitätsleistung Anlagen parallel zu allen Windenergieanlagen zu erstellen und mit Personal auf Vorrat betriebsbereit zu halten. Die Produktionskosten werden somit mehr als verdoppelt.

    Die andere Frage ist das Risiko der Gasversorgung. Was ist, wenn der „Demokrat“ Putin mal, wie schon öfters getan, den Gashahn zudreht?