Energie: „Sympathische Forderungen“
Ein kommunales Stadtwerk kann einen Beitrag zum sozialen und ökologischen Wandel Berlins leisten, sagt der Energieforscher Matthias Naumann.
taz: Herr Naumann, der anstehende Volksentscheid über ein landeseigenes Stadtwerk macht Sie zu einem glücklichen Wissenschaftler – oder?
Matthias Naumann: Warum?
Sie erforschen „lokale energiepolitische Konflikte“. Da ist die Debatte in Berlin doch wie gemacht für Sie.
Ja, das ist wirklich ein ganz aktuelles Beispiel für das, was wir untersuchen: Wie ringen verschiedene Akteure um die Ausrichtung der Energieversorgung, und wer setzt sich am Ende durch? Der Volksentscheid hat da drei Dimensionen.
Welche?
Erstens die grundsätzliche Frage, wer städtische Infrastrukturen betreiben soll. Seit den 1990ern galten private Unternehmen als Garanten für eine preiswerte und qualitativ hochwertige Versorgung. Diese These hat in den letzten Jahren jedoch stark an Überzeugungskraft verloren, wie viele gescheiterte Privatisierungen weltweit belegen. Wie beim Wasser fragt sich Berlin jetzt bei der Energieversorgung, ob ein Betrieb durch Vattenfall der Weisheit letzter Schluss ist. Zweitens geht es um die Umsetzung der Energiewende auf lokaler Ebene. Ist dafür Vattenfall mit seiner bisherigen Ausrichtung der richtige Partner? Drittens geht es um Partizipation und Teilhabe der Bürger, sowohl an energiepolitischen Entscheidungen als auch an den wirtschaftlichen Erträgen.
Der Energietisch will, dass ein Stadtwerk alles besser macht als Vattenfall. Ist das realistisch?
Das kommt darauf an, ob ein Stadtwerk wirklich anders agiert. Wenn es Gemeinwohlziele in seinem Verständnis und seiner Praxis verankert, dann kann es natürlich einen Beitrag zur sozialen und ökologischen Transformation der Stadt leisten.
Welche Rolle spielt dabei das Stromnetz?
Der Rückkauf kostet viel Geld, aber der Betrieb bringt wiederum Einnahmen. Wie dieses Geld verwendet wird, darauf kommt es an. Ähnlich dem Schienenverkehr ist das Netz bei der Stromversorgung von hoher strategischer Bedeutung. Die künftige Gestaltung gibt vor, welche Formen der Stromerzeugung technisch machbar und wirtschaftlich attraktiv sind. Wenn das Land Berlin die Energieversorgung stärker selbst gestalten möchte, gehört das Netz notwendigerweise dazu.
Aber am Hebel für die Energieversorgung sitzen doch jetzt schon die Bürger: sie können einfach und wirkungsvoll zu einem Ökostromanbieter wechseln.
Ja, aber ein Stadtwerk kann gegenüber einem solchen Anbieter einen entscheidenden Vorteil haben: demokratische Kontrolle durch die Verbraucher ist auch dann möglich, wenn sie keine Anteile oder Aktien am Unternehmen erworben haben. Gemeinwohlziele können stärker Berücksichtigung finden.
Was soll das konkret heißen: Gemeinwohlziele?
Ich verstehe darunter Ziele, die über die Aufgabe hinausgehen, eine zuverlässige Stromversorgung zu gewährleisten. Das reicht von sozialverträglichen Preisen und Gebühren über umweltpolitische Ziele des Klimaschutzes bis hin zu fairen Arbeitsbedingungen. Ob rekommunalisierte Stadtwerke all diese Ziele besser erfüllen können, das untersuchen wir allerdings gerade erst. Generell versuchen natürlich viele Akteure, ihre jeweiligen Interessen durch einen Bezug auf das Gemeinwohl zu legitimieren.
Der Energietisch nennt seinen Gesetzentwurf „ökologisch, sozial und demokratisch“. Was halten Sie davon?
Da stehen sehr sympathische Forderungen drin. Aber es gilt genauer zu bestimmen, wie all das in die Praxis umgesetzt werden kann: Lassen sich soziale Ziele und Demokratisierung im Unternehmensalltag realisieren? Sind faire Preise mit Investitionen in neue Erzeugungskapazitäten und anständigen Löhnen zu vereinbaren? Wie werden die Bürger kontinuierlich an energiepolitischen Entscheidungen beteiligt?
Was denken Sie?
Auf all diese Fragen gibt es keine allgemeingültigen Antworten, sie müssen immer wieder neu diskutiert werden. Aber die Debatten sind auf jeden Fall produktiv: sie tragen dazu bei, den Energiesektor zu repolitisieren. Das ist dringend nötig.
Warum?
Weil wir an einer zeitlichen Weiche stehen. Ursprünglich wurde die Energiewende damit begründet, dass viele kleine Produzenten in kleinen Kraftwerken Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien erzeugen. Der Markt sollte demokratisiert werden, das galt für viele als attraktiv. Aber neben steigenden Energiepreisen prägen mittlerweile große Wind- und Biogasanlagen vor allem in Ostdeutschland die Debatte. Hinter den Anlagen stehen große, teils institutionelle Investoren, die von vielen Bürgern als egoistisch wahrgenommen werden.
Was hat das mit dem Volksentscheid in Berlin zu tun?
Viele solcher großen Anlagen zu bauen, das ist für die bisherigen vier bestimmenden Energiekonzerne in Deutschland kein Problem. Aber die Herausforderungen der Energiewende sind komplexer. Es geht darum, den Verbrauch entscheidend zu reduzieren und Energie anders zu nutzen: effizienter, intelligenter. Dafür braucht es andere Energieversorger als Partner: sie müssen in etwas investieren, das ihre eigenen Abnahmemengen reduziert! Und dafür müssen sie der Energiewende und dem Gemeinwohl verpflichtet sein und nicht den Interessen ihrer Aktionäre. Um diese Frage geht es auch beim Volksentscheid in Berlin.
Matthias Naumann, 37, ist Geograph und forscht am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner. Mehrere Projekte dort untersuchen den regionalen und institutionellen Wandel von Energiesystemen. Internet: www.irs-net.de/enerlog http://www.irs-net.de/forschung/forschungsabteilung-2/EnerLOG/index.php
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