Endzeitstimmung in den LPGs

Notschlachtung der DDR-Landwirtschaft/ Ein Viertel der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte ist bereits entlassen worden/ Bauernverband will die Bildung von Familienbetrieben unterstützen/ Nur wenige Bauern können ausreichend Boden pachten  ■ Von Eva Weber

Die Privatisierung der DDR- Landwirtschaft beginnt mit einem großen Schlachtfest. Das Glashaus der staatlich subventionierten Produktion für einen abgeschotteten Binnenmarkt ist abgerissen und die ostdeutsche Landwirtschaft in die von Milchseen und Fleischbergen geprägte Landschaft des EG-Agrarmarkts versetzt worden.

Die Wirkung war katastrophal für die DDR-Landwirtschaft: Der Binnenmarkt wurde von Westprodukten, vor allem aus der BRD überschwemmt. Die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs) konnten im Juli nur noch knapp die Hälfte der kalkulierten Erlöse erzielen. Die Branche stand vor dem Ruin, und die Viehaufkäufer aus Westdeutschland boten die Notschlachtung an.

Die LPGs ließen sich herunterhandeln und verkauften die überflüssig gewordenen Milchkühe und die immer fetter werdenden Schweine im Schlußverkauf weit unter Wert, um schnell an Bargeld zu kommen, mit dem wenigstens die Löhne bezahlt werden konnten.

Inzwischen ist zwar von der DDR- Regierung die EG-übliche Marktordnungsmaschinerie in Gang gesetzt und die Hälfte des Überschusses an Milchkühen an die Sowjetunion verkauft worden, doch hat sich damit an der Marktsituation für die DDR- Landwirtschaft prinzipiell nichts geändert. Der Übergang von der Rationalität des Arbeiter- und Bauernstaates zu der des EG-Agrarmarkts wird zum Salto mortale für die ostdeutsche Landwirtschaft.

In den LPGs herrscht Endzeitstimmung. Nach Schätzung des Landwirtschaftsministeriums werden 50 bis 60 Prozent der Lehrverträge gekündigt. Von den etwa 840.000 Beschäftigten in der DDR- Landwirtschaft sind nach einer Untersuchung des Bauernverbandes bis Ende August rund 45.000 in den Vorruhestand gegangen, etwa 25.000 sind arbeitslos gemeldet, und 140.000 — also etwa 14 Prozent der Gesamtbeschäftigten — sind auf Kurzarbeit gesetzt. Knapp ein Viertel der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte sind also jetzt schon aus dem Produktionsprozeß entlassen worden, obwohl sich kaum Alternativen bieten.

Die alten Eigentumsverhältnisse sind zuletzt durch das „Landwirtschaftsanpassungsgesetz“ vom 29.6. aufgehoben worden, doch die von der DDR-Regierung finanziell geförderten Veränderungen vollziehen sich sehr langsam. „Bei vielen LPGs herrscht Torschlußpanik“, sagt Professor Jürgen Heym vom Bauernverband. Angesichts der katastrophalen Preissituation, meint Heim, schrecken viele LPG-Leiter vor Veränderungen zurück. Laut Untersuchung des Bauernverbandes sind die Betriebe bisher so gut wie gar nicht verkleinert worden. Die Aufteilung der LPG, die Ausgliederung von nichtlandwirtschaftlichen Betriebsteilen wie Bau und Maschinenreparatur geht nur zögernd voran.

Die Betriebe werden den westeuropäischen Rechtsformen angepaßt: Genossenschaften, Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften. Die Ost-SPD will das westdeutsche Genossenschaftsrecht erweitern, so daß Genossenschaften nach französischem Muster entstehen können, in denen Lohnarbeiter beschäftigt werden und die Gesellschafter den Gewinn nach eingebrachtem Kapital und Boden sowie Arbeitsleistung verteilen. Der Bauernverband will die Herausbildung von bäuerlichen Familienbetrieben unterstützen, trotz der Einschätzung, daß sich diese Betriebsform nicht allgemein aus der Auflösung der LPGs entwickeln wird.

Der Familienbetrieb, der in Westdeutschland immer im Mittelpunkt der konservativen Utopie einer Einheit von Arbeit und Eigentum stand, hatte sowieso nur im Südwesten der DDR eine historische Realität. In Thüringen und Sachsen war eine kleinbäuerliche Struktur Ausgangspunkt für die Bildung der LPGs. Entsprechend sind die landwirtschaftlichen Betriebe dort heute wesentlich kleiner als im Norden der DDR, wo bei der Bodenreform nach dem Zweiten Weltkrieg der Großgrundbesitz der mecklenburgischen Junker enteignet wurde.

Es gibt wenig Gründe für die DDR-Bauern, den Überlebenskampf als Familienbetrieb auf sich zu nehmen. Als LPG-Mitglieder hatten sie geregelte Arbeitszeiten, freie Wochenenden und Urlaubsanspruch — davon können die Familienbetriebe in der BRD nur träumen. Ohnehin wird es nur wenigen gelingen, ausreichend Boden zu pachten, um das Stückchen Land, das sie in die LPG eingebracht hatten, zu einer überlebensfähigen Betriebsgröße aufzustocken. Nach den Plänen des Landwirtschaftsministeriums soll eine Million Hektar Boden der landwirtschaftlichen Produktion entzogen werden. Und die West-Eigentümer, die nach den Regelungen des Einigungsvertrages Anspruch auf die Flächen erheben können, die sie in der zweiten Bodenreform der 50er Jahre den LPGs überlassen mußten, werden bald dafür sorgen, daß die Pachtpreise auf BRD-Niveau steigen.