Ende einer linken Institution: Eine Kneipe verschwindet
Im Schatten der Diskussionen um Rote Flora und Esso-Häuser geht es in Hamburg auch anderen Treffpunkten an den Kragen. So wie der Kneipe El Brujito.
HAMBURG taz | Privat hätten sich die Unternehmer Björn Lafrenz und Karsten Siem aus Hamburg-Altona wohl nicht kennengelernt. Beruflich haben sich ihre Wege verhängnisvoll gekreuzt. Lafrenz leitet zusammen mit seiner Frau Astrid die Firma Lafrenzprojekte, die Wohnungen und Häuser erwirbt, „die wir nach Grundrissänderungen, Um und Ausbauten sowie Inneneinrichtung zum Kauf anbieten“. Von seinem Vater hat er eine Sammlung moderner Kunst geerbt, die unter anderem Pate bei der Gründung des Museums Weserburg in Bremen stand.
Als dieses Museum gegründet wurde, besetzte Karsten Siem noch Häuser in Flensburg. Später gründete er in Altona den Streetwear-Laden True Rebel Store. Bis heute ist Siem – nicht nur optisch – eine Stütze der Altonaer Punks. 2009 eröffnete er mit einem Partner am Lornsenplatz die Kneipe El Brujito.
Als Lafrenz Anfang letzter Woche bei einer Sitzung des Stiftungsrates des Bremer Museums Weserburg weilte, „bei der es um den Erhalt dieser Institution ging“, war der Kampf von Karsten Siem um den Erhalt seiner Institution gerade gescheitert. Die Räume des El Brujitos hätten laut einem von Lafrenz erwirktem Gerichtsbeschuss an diesem Tag übergeben werden sollen. Denn sie liegen ausgerechnet in einem der Häuser, die Lafrenz baulich „entwickelt“.
Sozial und kulturell hat sich in diesen Räumen etwas entwickelt, das fast so märchenhaft klingt wie der Name EL Brujito – das kleine Hexlein. „Das besondere ist, dass sich hier über den Punk, den Banker, den Professor, den Airbus-Angestellten und Hartz-IV-Empfänger alle wohl fühlen und miteinander reden; so eine Mischung findet man in keinem anderen Laden“, sagt Jens Fricke, der seit 24 Jahren in der Nachbarschaft wohnt und wie die anderen Stammgäste bedröppelt auf das Baugerüst vor dem Fenster guckt. „Ich wüsste nicht, wo ich das wiederfinden sollte.“
Neben Teilen der Nachbarschaft haben auch andere Communities den Laden zu ihrem Treffpunkt gemacht. Die Brasilianer feiern Samba-Parties, Spanier bekommen bei Raquels Tapas-Kreationen und dem Hausschnaps Tarifa Heimatgefühle und wenn Chef Karsten selbst hinter der Theke steht, gucken auch die Punks mit ihren Hunden rein. Auf der kleinen Bühne gastieren lokale Musiker und Literaten für eine Hutspende und im lauschigen Sommergarten ist die Hektik der Stadt weit weg.
Von einer Stammkneipe der SA zum Punker-Treff
Eine Gaststätte ist hier spätestens seit 1925 ansässig, damals allerdings mit anderem Publikum. Im roten Altona bildete der Lornsenplatz eine nationalsozialistische Enklave und in der Kneipe am Lornsenplatz 7 rüstete sich die SA für die Saalschlachten gegen die Kommunisten. Nach dem Krieg wurde das Lokal zur typischen Arbeiter-Eckkneipe, bis 2009 das El Brujito einzog.
„Sicherlich schätzen einige Bewohner des Viertels das El Brujito als ihre Stammkneipe“, sagen Björn und Astrid Lafrenz. „Unter einem wichtigen sozialen und kulturellen Treffpunkt verstehen wir aber letztlich keine auf kommerziellen Profit orientierte Kneipe, die nur nachts geöffnet hat und oft auf Kosten der unmittelbaren Nachbarschaft lebt.“
Dieses Kulturverständnis gilt spätestens als antiquiert, seit die Bremer Sozialwissenschaftler Franz Dröge und Thomas Krämer-Badoni 1987 in ihrer Studie „Die Kneipe – zur Soziologie eine Kulturform“ die Kneipe als eine „eine auf Teilnahme, Kollektivität und Aktivität hin angelegte Institution“ beschrieben, in der eine ganze Kultur gelebt werde.
Der Vorwurf, auf Kosten der Nachbarschaft zu leben, den Lafrenzprojekte mit „spätem Lärm“, „nächtlicher Bevölkerung des Platzes“ und „Einschüchterung“ begründet, empört Karsten Siem: „Wir haben alle Gäste aus der Nachbarschaft befragt, ob sie irgendjemand kennen, der sich aus Angst vor uns nicht trauen würde, vermeintliche Lärmbelästigungen zu melden – keiner kannte einen.“
Die mündlichen Auskünfte sowie die ausliegenden Unterschriftenlisten deuten laut Siem stattdessen auf eine große Solidarität mit dem El Brujito hin. Ein Anwohner sagt der taz, der letzte Polizist, den er hier gesehen habe, sei vor zwei Jahren Jan Fedder gewesen – bei Dreharbeiten zum Großstadtrevier. Nicht nur er sieht im El Brujito (täglich ab 18 Uhr, Pils ab 2,20 Euro) ein Symbol für die einsetzende Verdrängung von alten Mietern – hier im doppelten Schatten der ersten Baustelle eines innerstädtischen Ikea-Hauses auf dem Kontinent und dem Stadtentwicklungsprojekt Mitte-Altona.
Kurzer Zahlungsverzug reicht zur Kündigung
Lafrenzprojekte, die weitere Objekte im Stadtteil besitzen, beteuern dagegen, dass es ihnen nicht um Profitmaximierung gehe. Sie hätten das Haus auch abreißen und viergeschossig neu bauen können, sagen sie, aber sie schätzten die gründerzeitliche Stadtstruktur des Lornsenplatzes. Das Haus Nummer 7 wollen sie nach dem Umbau als Büros nutzen. In das ebenfalls von ihnen erworbene und entmietete Nebenhaus wird das Paar selbst einziehen.
Nachdem das Haus 2011 den Besitzer wechselte, suchten Lafrenz und Siem zunächst gemeinsam nach Alternativstandorten. Das El Brujito ließ die Sache in Ruhe auf sich zukommen, schließlich gab es einen gültigen Mietvertrag bis 2020 mit Verlängerungsoption. Dann nahm Lafrenz einen einmaligen, kurzen Zahlungsverzug zum Anlass für eine fristlose Kündigung. Die wurde in eine fristgerechte umgewandelt und mit einem Formfehler im Mietvertrag begründet, den das Gericht als Kündigungsgrund anerkannte.
"Ohnmächtig, traurig und wütend"
Karsten Siem steht das Wasser bis zum Hals. 60.000 Euro stecken im Laden. Falls er und seine Mitinhaberin nicht schnell ein anderes Objekt finden, kommen zu den Gerichtskosten noch Schulden bei der Brauerei. Zu Lafrenz hat er gesagt: „Björn, du nimmst uns die Existenz und Arbeitsplätze und den Nachbarn das Wohnzimmer. Ist das ein verantwortungsvoller Umgang mit einem Viertel, in dem man selbst leben und arbeiten will?“
Noch läuft der Laden. Die Vermieter und Exmieter treffen sich weiter, um eine Schonfrist herauszuhandeln. Lafrenz habe versprochen, bei der Suche nach einem neuen Standort zu helfen, sagt Siem. Das tröstet Johanna Becker nicht, die wie zwei andere Festangestellte ihren Job los ist, der viel mehr war als ein Job. „Man fühlt sich nur noch ohnmächtig, traurig und wütend“, sagt sie.
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