Ende der Liebig 14: Räumung mit Hindernissen
Es ist vorbei, das Hausprojekt ist geräumt. Hunderte demonstrierten auf den Straßen gegen den Einsatz. Am Ende präsentierte die Polizei einen Haufen Müll und Verteidigungsanlagen, die sich als harmlos entpuppten.
Es ist finster und kalt. Der Wetterbericht hat Eisregen vorhergesagt. Normalerweise sind die Bürgersteige in Friedrichshain so früh am Morgen wie leergefegt. Nicht so am Mittwoch: Dunkel Gekleidete mit tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen durchstreifen den Kiez in kleinen Gruppen. Die einen halten Bierflaschen, die anderen Kaffeebecher, dritte beißen in ein Brötchen. Man sieht viele junge Leute. Manche sprechen Englisch miteinander, sie haben die Nacht durchgemacht und halten sich nur mit Mühe auf den Beinen. Alle Männer und Frauen haben dasselbe Ziel: möglichst nah an die Liebigstraße 14 heranzukommen, die an diesem Morgen von der Polizei geräumt wird. Das Problem ist: Die Straßen rund um das Haus sind seit 5 Uhr weiträumig abgesperrt. "Selbst vor dem kleinsten Mauseloch steht ein Bulle", sagt ein junge Frau enttäuscht.
Rastlos ziehen die Solidaritätswilligen umher. An allen Kreuzungen, die zur Liebigstraße führen, werden sie von Polizeiketten aufgehalten. Nicht mal ein Blick auf das Haus lässt sich erhaschen. Als in der Straßenschlucht das "Lied vom Tod" erklingt, ist klar: die Räumung hat begonnen.
Hässliche Szenen
Gesine Lötzsch, Linkspartei-Chefin: "Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt bei den politisch Verantwortlichen, dem Senat. Ich habe mir eine politische und friedliche Lösung gewünscht."
Renate Künast, Grünen-Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin: "In der Liebigstraße gibt es einen ausgeschöpften Rechtsweg, hier ist ein Rechtstitel." Das Verfahren um die Räumung war "offen und transparent".
Tom Schreiber, SPD-Innenpolitiker: "Das Doppelspiel, das die Grünen treiben, ist unglaubwürdig und schadet der Sache."
Jan Stöß, Finanzstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg (SPD): "Es bestimmt weder ein Landrat noch ein Bezirksbürgermeister, was Recht und was Unrecht ist."
Frank Henkel, CDU-Chef und -Spitzenkandidat: "Wir bleiben dabei, dass Recht und Gesetz besonnen und konsequent durchgesetzt werden müssen, um unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen."
Christoph Meyer, FDP-Landeschef: "Politisch werden wir uns weiterhin für eine Aufwertung von Stadtteilen einsetzen, in denen für Vandalen aus der linken Szene kein Raum ist." (dpa)
Es kommen immer mehr. In der Proskauer Ecke Rigaer Straße stehen bald so viele Menschen, dass die Polizisten sie nicht mehr auf die Bürgersteige zurückdrängen können. Von der Frankfurter Allee her nähern sich rund weitere Unterstützer. Im Nu bildet sich eine Spontandemonstration. Die Einsatzhundertschaften werden immer nervöser. Beamte rennen los, versuchen sich an die Spitze des Zuges zu setzen. Es kommt zu hässlichen Szenen: Demonstranten werden rabiat zurückgedrängt, ein Polizist wendet sein Pfefferspray an. Eine junge Frau bricht tränenüberströmt an einer Hauswand zusammen. Weitere Einheiten verschließen den Weg zur Frankfurter Allee. Aber ein Teil der Unterstützer ist bereits durchgerutscht. Der Verkehr auf der Magistrale kommt zu Erliegen.
So geht es den ganzen Vormittag. Immer wieder bilden sich Spontandemonstrationen und werden wieder zerstreut. Die Spur der Unterstützer zieht sich wie ein schwarzer Lindwurm durch den Kiez. Wie viele Menschen es sind, ist schwer zu sagen, mehrere hundert auf jeden Fall. In den Mittagstunden ebben die Proteste ab. Kräfte sammeln für den Abend, lautet die Parole.
Das größte Verkehrshindernis ist die Polizei selbst. Rund 2.500 Beamte - die Hälfte davon aus dem Bundesgebiet - blockieren mit zig Mannschaftswagen die Straßen. "Berlin ist immer eine Reise wert", witzelt ein Beamter aus Leipzig. Eine etwa 40-jährige Erzieherin aus der Bänschstraße sagt, sie fühle sich extrem belästigt. "Von der Polizei", schiebt sie nach. Nicht von den Demonstranten. "Das Haus hätte nicht geräumt werden müssen". Auch der Inhaber des Ladens, der im Weidenweg Sicherheitstechnik anbietet, ist stocksauer. Allerdings aus anderem Grund: Wegen der Straßensperren bleiben ihm die Kunden weg. Als der Mann hört, dass die Polizei Stunden für die Räumung braucht, haut er sich belustigt auf die Schenkel. "Hätten se ma mich geholt. Ich hätte die Hütte ganz schnell aufgehabt".
Sperrmüll im Treppenhaus
Gegen 13.30 Uhr dürfen Journalisten die geräumte Liebig 14 besichtigen. Spaghettipackungen, Popcornmais in Tüten und Ketchup stehen noch im Küchenregal des dritten Stocks. Die sechs Männer und drei Frauen, die sich hier bis zuletzt verschanzt hatten, waren gut ausgerüstet. Im Innenhof stapeln sich Sofas, Metallabsperrungen, Turnschuhe und Matratzen. Alles Sperrmüll, den die Polizei hinausbefördert hat, ehe sie sich Zugang zum Haus verschaffen konnte.
Am Vormittag hatte die Polizei verbreitet, in dem Gebäude gebe kein Treppenhaus mehr. Die Bewohner hätten es herausgerissen, um die Räumung zu erschweren. Beim näheren Hinsehen stellte sich raus: Die Treppen sind noch da. Vor lauter Sperrmüll waren sie nicht zu sehen gewesen. Die Wand aus Sperrmüll sei kaum durchdringbar gewesen, sagt ein Polizist. "Wir mussten unser komplettes Repertoire einsetzen, um hier durchzukommen". Als Beamten ins Erdgeschoss eindrangen, sei ihnen Wasser aus den oberen Etagen entgegengeflossen. Auch eine verschweißte Metallvorrichtung habe man mit Sägen, Brecheisen, Bohrhammern entfernen müssen.
Zu den Bewohnern im dritten Stock waren die Polizisten durchs Dachgeschoss vorgedrungen. Dort sei man auf Badewannen mit Flüssigkeit gestoßen, aus der Elektrokabel ragten, so ein Polizeisprecher. Eine Überprüfung des Hindernisses, die wieder einige Zeit dauerte, ergab aber, dass das Stillleben nicht unter Strom stand.
Nach Aussage des Polizeisprechers haben die Besetzer "nicht so agiert, dass Leib und Leben Anderer zielgerichtet gefährdet werden sollten." Sie hätten sich in erster Linie verbarrikadiert. "Das aber gewaltig." Allerdings seien die Polizisten, die schließlich zu den Bewohnern vordrangen, durch einen Türspalt mit Feuerlöschern und Reizgas beschossen worden, so der Spreher weiter. Letzlich hätten sich die neun Personen aber widerstandslos ergeben. Ermittelt werde gegen sie wegen gefährlicher Körperverletzung.
Jetzt steht das Haus leer. An einer Flurwand steht geschrieben: "Tritt den Bullen ins Gesicht, bis der Schädel bricht." Schokolade liegt unangerührt auf dem Boden, Vollmilch-Mandel und Edelbitter.
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