■ Elitäre Festspiele: Frust der Besessenen
Von wegen Demokratisierung der Oper. Auf Krawatte und Smoking dürfen die Musikliebhaber zwar bei französischen Festspielen pfeifen. Doch die gepfefferten Eintrittspreise sorgen für Frust. Kultur darf doch nicht für eine kleine Elite gedacht sein, die selbst die Spielregeln und die Preise festlegt. Was kann ich denn dafür, daß ich in meiner Jugend vom Opern-Virus befallen wurde und heute den Eintritt schlicht und einfach nicht mehr bezahlen kann? Was nützt es denn, meinen Kindern Mozart und Verdi nahezubringen, wenn sie als Erwachsene nur draußen vor der Tür lauschen dürfen?
Als ich acht Jahre alt war, wohnten meine Eltern nur ein paar Meter entfernt vom Freilichttheater. Wie alle Aixler war ich mächtig stolz auf die Opernfestspiele, die den Namen meiner Heimatstadt in der ganzen Welt berühmt gemacht haben. Doch heute weiß ich nicht mehr, ob ich sauer oder stolz auf meinen Vater sein soll, weil er mir die Traumwelt der Oper eröffnet hat. Als freiwilliger Feuerwehrmann hatte er, kraft seiner Uniform, Zutritt zu den Festspielkulissen. An seiner Hand entdeckte ich die Sorgen der Operndiven, ihre Macken, ihre Koloraturen, das Aufbrausen der Dirigenten, die feinen Töne der Instrumentalisten und das Lampenfieber der ChorsängerInnen. Eine aufmerksame Platzanweiserin zeigte mir den Notsitz, für den niemand Geld verlangen wollte.
Als Hilfsarbeiter in der Bühnentechnik war ich bei den Proben dabei. Bei allen Proben. Es gibt keine bessere Schule für einen, der sich in Stimmen verlieben kann. Montserrat Caballé, Régine Crespin, José van Dam, Gabriel Baquié – ihre Arien sind für immer in meinem Gedächtnis. Ich habe mitgehört und mitgebebt, als Teresa Berganza und Teresa Stich-Randall ihre internationalen Karrieren begannen. Der Opern-Virus hat mich nicht mehr losgelassen. Selbst als der Beruf mich nach Nordafrika führte, kam ich jedes Jahr mit meiner Frau zurück in die Provence. In den fetten Jahren gaben wir jeden Juli mindestens 10.000 Franc aus – nur für die zauberhaften Opernnächte in Orange und Aix. Heute kostet ein guter Platz mindestens 850 Franc, also gut und gern 250 Mark. Und wir sind zu zweit. Für einen einzigen Abend geht ein Zehntel meines Gehalts drauf. Und ich gehöre zu den Besserverdienenden in meinem Land. Verdis „Nabucco“ im antiken Theater von Orange Anfang Juli war für mich also nur eine Ausnahme. Nicht dagegen für die lokalen Größen aus Politik und Wirtschaft, für die das Eintrittsbillet zwar nur ein Nasenwasser wäre, die aber als Ehrengäste ganz umsonst auf den teuren Plätzen sitzen. Ich habe jetzt eine kleine Konzertreihe entdeckt. Streichquartette, die in den kleinen Kirchen des Luberon-Gebirges musizieren. Vorzügliche Qualität und der Eintritt kostet gerade 90 Franc. Nach dem Schlußapplaus klappe ich meinen Stuhl selbst zusammen. Wie alle anderen. Wie in meiner Jugend in Aix. Guy Chaigneau
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