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Elementare Strukturmutationen

■ Die vier Wüstensöhne von Kyuss suchen nach Staub im Getriebe

Siedendheiße Sonnenstrahlen attackieren mit intensivster Penetranz das eh schon stark drangsalierte Flußbett. Kein Lüftchen regt sich, die Zeit scheint zu stehen, nur das unregelmäßige Knacken der sich aufbiegenden Erdkruste erbringt den Beweis von Bewegung, die Leben nur vermuten läßt. Als die Furchen im einst lehmigen Boden sich fast zu kleinen Grabstätten verformen, schwingt die Atmosphäre wie eine Blattfeder im MG-Truck. Aus heiterem Himmel fallen lauwarme, balsam-gleiche Regentropfen, die die geschändete Oberfläche wieder schließen und eine erneute Vereinigung der Elemente hervorrufen. So geschehen, dokumentiert und überliefert aus der Wüste Kyuss, dem Land der staubigen Musiker.

Das letzte Opus Sky Valley hat eine wahre La ola, eine Welle der Begeisterung nach sich gezogen. Das bestärkte den populären Werdegang, den John Garcia (Gesang), Josh Homme (Gitarre), Scott Reeder (Baß) und Alfredo Fernandez (Schlagzeug) mittlerweile hinter sich haben. Obgleich eher die rhythmische Langsamkeit ihr Ding ist, vollzog sich diese Entwicklung in nicht einmal neun Monaten. Dabei geben die vier Kalifornier in der Zeit des No-Grunge und des Punk-Revivals dem Kind nur einen neuen Namen.

Kyuss winden sich im Tran des schmierigen Siebziger-Bluesrocks und unterlegen den Akt mit THC-trächtigen, walzenden Gitarrenriffs, während der Baß einen niemals enden wollenden Melodiebogen spannt und das Schlagzeug den Antriebskern der Kraftdroschke mimt.

Das mag nicht heißen, ihnen eine respektable Eigenständigkeit absprechen zu wollen. Auf keinen Fall, schließlich fallen billige Rock'n'Roll-Hochstapler spätestens nach dem ersten Album auf und aus dem Rennen.

Kyuss jedoch setzen auf Persistenz plus Fortbildung. Deutlich wird das, wenn man ihre Veröffentlichungen näher betrachtet. War Wretch (1991) noch ein hektisches und hardcoriges Debut, so erkannte man beim Nachfolger Blues For The Red Sun (1992) bereits am Titel, welchen Weg Kyuss einschlagen werden. Wie eine feine Ummantelung hatte sich derzeit schon der Blues um den satten Rock'n'Roll gespannt. Sky Valley (1994) jedoch demonstriert die reifste und modernste Form des wüstendeckenden Rock'n'Roll-Sirups, die Strukturverschiebungen allerorts verursacht.

So auch live. Während John Garcia mit halb geschlossenen Augen auf vertrackte Art über die einfachen Sachverhalte des Lebens sinniert, weben die anderen Wüstensöhne ihm einen flüssigen Soundteppich zähester Struktur. Auf der Bühne sind damit die Verhältnisse klar aufgeteilt, doch vor der Bühne kann man sich nie sicher sein, zu welchen Elementschwankungen und chemischen Überreaktionen Kyuss verleiten wird.

Thorsten Zahn

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