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■ ScheibengerichtElder Roma Wilson

This Train (Arhoolie CD 429)

Die Orgel trägt einen Heiligenschein. Sie ist das Kircheninstrument schlechthin. Als ihr Widersacher gilt die Mundorgel, die in Kneipen und Kaschemmen daheim ist. Das war früher so – nur nicht im Süden der USA. Dort war die „Harp“ nicht nur das Teufelsinstrument des Blues, sondern auch die himmlische Mundharfe. Gerade leistete sie noch beim Tanz am Samstagabend der Sünde Vorschub, um schon am nächsten Morgen beim Gottesdienst mit frommen Gospelmelodien um Vergebung zu bitten. Vom legendären Robert Johnson wird erzählt, daß er seiner besorgten Mutter solange religiöse Lieder auf der Mundharmonika blies, bis jeder Zweifel an seinem unsteten Lebenswandel zerstreut war.

Einer, der zu Johnsons Lebenszeiten auch schon Gospelharmonika blies und es bis heute tut, ist Elder Roma Wilson. Der inzwischen 85jährige ehemalige Baumwollpflücker aus Mississippi ist der letzte Vertreter einer Tradition von Folk-Spirituals, die noch aus der Zeit der Sklaverei stammen. Früher zog er als Wanderprediger über die Dörfer und spielte solange auf seinem Instrument, bis sich eine Traube von Leuten um ihn versammelt hatte, denen er dann mit Donnerworten und heißen Blue notes die „Frohe Botschaft“ einbleute. Sein Vortrag war so feurig wie sein Harmonikaspiel, das er sich in der Jugend auf ausgeleierten Instrumenten seines Bruders selbst beigebracht hatte. „Ich hab' einfach den alten Männern zugehört und dann die Stücke nachgespielt.“

Im Alter hat Roma Wilson wenig von seinem Elan verloren. Sein Spiel strotzt immer noch vor Dynamik und Energie, wenn er sich in einen frommen Taumel hineinsteigert. „This Train“ ist seine Paradenummer. Den alten Folk-Klassiker hat er mit einem religiösen Text versehen und ihn mit allerlei Eisenbahngeräuschen angereichert, die er mit der Harmonika nachahmt. Dann verwandelt sich das kleine Blechinstrument in das Singnalhorn einer Dampflokomotive.

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