Eklat im Berliner Integrationsbeirat: Exodus aus dem "Nickverein"
MigrantInnen verlassen den Integrationsbeirat unter Protest. Einer ihrer Vorwürfe: Der Senat bevorzuge die Organisationen bestimmter Communitys.
Schwere Vorwürfe gegen die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales von Senatorin Carola Bluhm (Linke) haben gestern mehrere VertreterInnen des Integrationsbeirates erhoben. Yonas Endrias, Nazire Karaman und Mouctar Bah kritisierten, aus dem Beirat sei ein "Nickverein" geworden, der parteipolitisch von der Linken manipuliert und instrumentalisiert werde. Auch kritisierten sie, Fördermittel für Migrantenorganisationen würden unfair verteilt.
Schon im Mai war deshalb Vertreterin Karaman, zuständig für die Region Türkei, zurückgetreten. Gestern verkündete Mouctar Bah, stellvertretender Migrantenvertreter für die Region Afrika, Fernost und Süd-, Mittel und Nordamerika, schriftlich seinen Rücktritt. Yonas Endrias bleibt vorerst. Ob er bei den nächsten Beiratswahlen im Dezember wieder kandidieren wird, ließ er offen.
Seit 2003 existiert der Integrationsbeirat. Sechs gewählte MigrantenvertreterInnen und ihre StellvertreterInnen arbeiten für zwei Jahre mit Senatorin Bluhm, StaatssekretärInnen und VertreterInnen von Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften zusammen. In Arbeitsgruppen erarbeiten sie Empfehlungen für die Integrationspolitik. Etwa für den Aktionsplan gegen Rassismus oder das Integrationsgesetz.
Eine gleichberechtigte Arbeit sei nicht möglich gewesen, beklagte Karaman. "Uns wurden systematisch Informationen durch die Geschäftsstelle vorenthalten." Der Integrationsbeauftragte des Senats, Günter Piening, weist diesen Vorwurf zurück: Es gebe eine klare Geschäftsordnung. Drei Wochen vor den Beiratssitzungen würde die Tagesordnung bekannt gegeben. "Nur wenn mal Ferien sind, kann sich das ausnahmsweise verspäten."
Die MigrantenvertreterInnen Endrias und Karaman sehen zudem eine Manipulation in der Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden des Integrationsbeirates, Hakan Tas. Der Linke-Politiker, der seit 2003 im Beirat aktiv ist, sei 2009 nur aufgrund seiner Parteizugehörigkeit gewählt worden. "Es ist vollkommener Quatsch, dass Tas bevorzugt wurde", sagte Piening. Auch Tas weist die Anschuldigung von sich. "Ich wurde ausschließlich von den Migrantenvertretern gewählt", sagte er der taz. "Die wussten, dass ich der Linken angehöre." Der Politiker sieht die Arbeit des Integrationsbeirats trotz der Vorwürfe positiv. Die MigrantenvertreterInnen hätten in den letzten Jahren viel erreicht. "Wir diskutieren mit dem Senat auf Augenhöhe." Kritik sei möglich. "Ich unterstütze nicht alles, was die Verwaltung will."
Dass Organisationen wie der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) gezielt mehr Fördermittel als andere bekämen und die afrikanische Community benachteiligt würde, kann Piening nicht nachvollziehen. Die 2 Millionen Euro, die jährlich zur Verfügung stehen, vergebe man an Projekte, die zum aktuellen Schwerpunkt "Elternarbeit" passten. 2011 werde so auch ein Projekt der afrikanischen Community in Kreuzberg gefördert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins