Ekel Alfred-Abend im WDR: Öffentlich-rechtlicher Dreisprung
Der WDR zeigt eine lange verschollen geglaubte Folge der Kultserie um die Familie Tetzlaff: "Sittenstrolch" aus dem Jahr 1974 (Freitag, 30.12., um 21.45 Uhr).
Was waren das für Zeiten, als Sitcoms vor befreit lachendem Publikum aufgezeichnet wurden, es politisch ordentlich zur Sache ging und sich das deutsche Fernsehen noch etwas traute? Es waren die 1970er.
Heutige Polithalbgötter, vor denen nicht nur Chefredakteure großer Wochenzeitungen knien, kanzelte der große Wattenscheider Alfred "Ekel" Tetzlaff damals gekonnt ab: Er wolle nichts "mit einem Staat zu tun haben, an dem eine Regierung an der Macht ist, die von einem Orgelspieler kommandiert wird, der früher bei der Flak war".Politisch Unkorrektes konnte mal schwer aufklärerisch sein.
Der WDR erinnert sich zum Jahresende dran und zeigt also nicht nur die regelmäßig abgenudelte "Ein Herz und eine Seele"-Folge vom "Silvesterpunsch" (Samstag, 18.00 Uhr), sondern setzt schon ab heute einen ganzen Ekel-Alfred-Abend (ab 20.15 Uhr) davor, dass es einem warm um Herz und Seele wird.
Eine echte Neuauflage gibt es auch: Die lange verschollene Farbversion der Folge "Sittenstrolch" von 1974, aus der Alfred Tetzlaffs unsterbliche Zitate über Helmut Schmidt stammen und die erst 2005 wieder in einem SWR-Archiv auftauchte, läuft wieder im Fernsehen (Freitag, 21.45 Uhr).
"Ein Herz und eine Seele" beweist auch noch nach knapp 40 Jahren: Die Keimzelle der Gesellschaft ist die Familie, Familie ist politisch – und man kann sogar drüber lachen. Derlei Dreisprünge bekommt das öffentlich-rechtliche Fernsehen heute nicht mehr hin, und auch die Privaten ändern nichts daran.
Wobei der WDR fair genug ist, zuzugeben, dass auch "Ein Herz und eine Seele" kein ganz eigenes Gewächs ist, sondern das Vorbild der BBC-Serie "Till Death Do Us Part" (Freitag, 22.30 Uhr) aus England stammt. Eine Kontinuität ist dem deutschen Fernsehen geblieben: Die guten Ideen haben meistens die anderen.
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