Eiszeit zwischen Litauen und Österreich: Wiens Kniefall vor Moskau ärgert Vilnius
Vilnius kritisiert die Freilassung eines früheren sowjetischen KGB-Offiziers. Diese erfolgte offenbar auf eine Intervention der russischen Regierung hin.
WIEN taz | Eine baltische Front überzieht Österreich mit diplomatischer Eiszeit. Ursache ist die Freilassung eines ehemaligen sowjetischen Offiziers, der vergangene Woche in Wien festgenommen wurde. Michail Golowatow, seinerzeit Kommandant der KGB-Sondereinheit Alpha, die im Januar 1991 in Litauens Hauptstadt Vilnius 14 Menschen tötete, gilt in Litauen als Kriegsverbrecher.
Als Litauen damals versuchte, sich als erste Sowjetrepublik aus dem Würgegriff des Kreml zu lösen, stürmten Alpha-Truppen den Fernsehturm, um sich der wichtigsten Medien zu bemächtigen. So sollte der Aufstand unter Kontrolle gebracht werden. Das Resultat war das, was als "Blutnacht von Vilnius" zum Gründungsmythos der größten baltischen Republik wurde und in der Folge den Zerfall der Sowjetunion beschleunigte. Gegen Golowatow, der inzwischen ein privates Sicherheitsunternehmen namens Alpha B leitet, wurde vergangenen Oktober ein europäischer Haftbefehl erwirkt.
Der 62-jährige ehemalige Geheimdienstoffizier wurde am 14. Juli am Wiener Flughafen Schwechat aufgrund dieses Haftbefehls festgenommen. Am folgenden Vormittag forderte die Staatsanwaltschaft von den Kollegen in Vilnius zusätzliche Informationen und setzte eine Frist von vier Stunden. Die auf Litauisch nachgereichte Anklageschrift, die alle nötigen Details enthalten dürfte, wurde zwar nicht übersetzt, aber als unzureichend qualifiziert. Golowatow bestieg wenig später eine Aeroflot-Maschine nach Moskau.
Österreich hätte die Möglichkeit gehabt, den Verdächtigen mindestens 96 Stunden festzuhalten. Deswegen sieht die Regierung in Vilnius das Vorgehen der österreichischen Behörden als unfreundliche Geste und berief ihren Botschafter ein. "Unsere Gesellschaft in Litauen steht unter Schock, es herrscht ein Gefühl der Ungerechtigkeit", klagte Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite in der Wiener Tageszeitung Die Presse.
Außenminister bestreitet russische Demarche
Wütende Demonstrationen vor der österreichischen Botschaft in Vilnius unterstrichen diese Empörung. Estland und Lettland sekundierten mit diplomatischen Gesten. Der Regierung in Wien wirft man vor, dem Druck aus Moskau nachgegeben zu haben. Außenminister Michael Spindelegger bestreitet eine russische Demarche.
In der russischen Zeitung Kommersant wird hingegen von Interventionen in Wien berichtet. Und der Grünen-Abgeordnete Peter Pilz legte Donnerstag eine Chronologie der Ereignisse vor, wonach die russische Botschaft in Wien die sofortige Freilassung des Landsmanns gefordert habe und die Regierung prompt in die Knie gegangen sei.
Österreichs Erdgasversorgung ist von russischen Lieferungen abhängig, und österreichische Unternehmen sind dank bester Kontakte zur Kreml-Spitze gut im Geschäft. Justizministerin Beatrix Karl beruft sich darauf, dass der 2002 geschaffene europäische Haftbefehl in Österreich nicht rückwirkend angewandt werde. Für Ereignisse vor dem Stichtag gilt die österreichische Strafprozessordnung, wonach Verdächtige nach spätestens 48 Stunden freizulassen sind, wenn die Vorwürfe nicht erhärtet werden.
Auch EU-Kommissarin Viviane Reding bescheinigte Österreich juristisch korrektes Vorgehen: "Politisch ist das etwas anderes." So sieht das auch Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden, SPÖ, dessen Stadt eine Städtepartnerschaft mit Vilnius pflegt. Er entschuldigte sich für das Vorgehen der Staatsanwaltschaft und forderte von Wien eine ähnliche Geste.
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