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■ Eislaufmarathon stürzt Niederländer in FieberSpende aus dem Kühlfach

Den Haag – Die Niederlande fiebern der Elfstedentocht entgegen. Zehn Jahre lang konnte der berühmte Eislauf nicht stattfinden, weil die notwendigen Minusgrade fehlten, um zweihundert Kilometer Wasserkanäle zum Frieren zu bringen und so ein Band zwischen elf friesische Städte zu legen. Jetzt aber sieht Eismeister Piet Venema die Chance größer denn je, daß das Volk sich doch noch aufs Eis begibt. Start und Ziel des Laufs liegen in Leeuwarden, der Hauptstadt der Provinz Friesland.

Bereits seit zwei Monaten herrscht in Friesland Winterstimmung. Ein stetiger Ostwind hielt jedoch lange Zeit an 160 Stellen die Eisdecke im Streckenverlauf offen. Wieder einmal mußten die Niederländer sich erfindungsreich im Kampf gegen das Wasser zeigen. Diesmal sollte es nicht in die Weiten des Meeres zurückgedrängt werden, sondern gefrieren. Die Elfstedentocht-Manie griff selbst auf das entfernt liegende Amsterdam über: Ein Komitee „Eis für Friesland“ formierte sich, die Bevölkerung rief man zu Kühlfachspenden auf.

Die Lösung zum Löcherflicken fand sich in der transplantatie von Eisblöcken. Früher wurden Netze ausgelegt, nun ließen sich erstmals Taucher mit Kettensägen an entlegenen Eisstellen hinab. Tragfähige, 25 Zentimeter dicke Eisdecken wurden zerteilt und abtransportiert. Im friesischen Balk versuchte man so, ein zehn mal fünf Meter großes Wasserloch auf dem Parcour zu schließen. Zwar sei das Laufen mit Schlittschuhen (klunen) auf trockenen Verbindungsstücken bisweilen nicht zu vermeiden, doch habe an diesem Ort eine Brücke im Weg gestanden. Das Loch mußte also geschlossen werden. Während eines Hubschrauberflugs konnte Eismeister Venema auch Freistellen mit einer Größe von hundert mal zehn Metern entdecken.

Nachdem die Eistransplantation in Balk erfolgreich verlief (die hundert Blöcke froren über Nacht mit einer dünnen Eisschicht aneinander), kamen an anderen Orten Bagger zum Einsatz. Die Bevölkerung stellte ihre Fahrzeuge zum Eisverladen bereit und spannte Decken auf, um den Wind aufzuhalten. Die größte Zeitung der Niederlande, der Telegraaf, zeigte Initiative und druckte eine seitengroße Eisscholle zum Ausschneiden.

Anfang dieser Woche entscheiden nun elf Männer aus den anzufahrenden Städten über die Elfstedentocht. Tagelang haben sie dann einander vom Zustand der heimatlichen Eisflächen unterrichtet und die Wettervorhersagen verfolgt. Zeigen sie sich einverstanden, legen Menschen die Arbeit nieder, Kinder erhalten schulfrei. Selbst die Parlamentssitzungen in Den Haag sollen für das Finale unterbrochen werden, sollte der längste Eislaufmarathon der Welt in diesem Jahr zum 15. Mal ausgetragen werden.

300 Wettkampfeisläufer und weitere 16.000 Schlittschuhenthusiasten begaben sich 1986 um fünf Uhr morgens an den Start. Das Eis dick gefroren, der Tag noch lang. Knapp sieben Stunden später lief der Sieger im Ziel ein, die letzten Läufer wurden noch vor Mitternacht begeistert empfangen, kurz vor Schluß des Stempellokals. Interessenten gab es beim letzten Durchlauf mehr als Startkarten, die ausgeteilt wurden; die Karten erzielten Preise bis zu 3.000 Gulden (2.700 Mark).

An den Rändern der Grachten und Kanäle werden auch in diesem Jahr friesische Bauern stehen, die sich erzählen, wie sie früher selbst zwischen dem Kühemelken vom Hof nach Leeuwarden und zurück an dem Eislauf teilnahmen. Oder als 1956 nach einem eisigen Martyrium die fünf ersten Läufer Arm in Arm ins Ziel kamen, jeder ein Sieger. Harald Neckelmann

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